Angekommen in Afrika!
Mittwoch, 8. August 2008
Mein Flug MS 788 nach Kairo soll um 15.55 Uhr gehen.
Ich bin aufgeregt, habe exakt 179 kg Gepäck, die ich aufgeben will, soll über Egypt Air ohne Mehrkosten geregelt werden. Mein Kontaktmann ist nicht am Airport, ich erreiche ihn nur telefonisch, er redet mit dem Stationsleiter, einem kleinem Herrn in meinem Alter, ich solle beim Lufthansa-Schalter, die das Handling machen, einchecken.
Beim Transport meiner 7 Gepäckstücke (neben Laptop und Rucksack als Handgepäck) helfen mir Marco und seine Frau Frederike, die mir mit dem Auto 99 kg nach München gefahren haben.
Trotz meiner Aufregung (man redet zunächst von über 2500 € Kosten für Übergepäck) klappt alles, wir vier gehen noch auf die Plaza von Terminal 2 und sitzen im Biergarten. Ich verabschiede mich von meinem Land mit Schweinshaxe und zwei Glas frisch gebrautem Bier, meine Freunde bringen mich bis zur Handgepäckkontrolle, wir verabschieden uns mit Umarmungen, winken uns noch lange zu.
Das Flugzeug, ein Airbus 320, ist relativ voll, ich sitze auf 25 C, ein Gangplatz am Notausgang, der mir einigermaßen Beinfreiheit ermöglicht. Viele Familien, meist Ägypter, scheinen nach Kairo zurück zu fliegen, neben mir sitzen zwei ca. 11 jährige Zwillingsschwestern, die offensichtlich Ägypterinnen sind, aber miteinander Deutsch reden.
Nach Chicken (hinterher stelle ich fest, dass ich besser Beef genommen hätte) schlafe ich ein wenig, stelle meine Uhr eine Stunde vor und schaue gelegentlich einem ziemlich blöden Film zu.
Irgendwann über Korfu ist der Himmel wieder wolkenlos, und bald wird es dunkel, es tauchen die Lichter einer Stadt auf, Alexandria, aber leider fliegen wir vorbei, müssen Stunden später mit dem Auto durch die nächtliche Rushhour fast drei Stunden zurückfahren.
Die Anschnallzeichen erscheinen wenig später, der Druck legt sich auf die Ohren, und unter dem Klatschen der meisten Passagiere landet das Flugzeug und rollt auf seine vorgesehene Position. Visum kaufen, Geld tauschen, Passkontrolle, alles ohne Probleme, die Meldungen auf dem Handy laufen auf. Herr Nabil, mein neuer Schulleiter, der mich erwartet, ruft mehrfach an, ich kann ihn nicht verstehen. Ich fordere einen Gepäckträger an, er kommt nach offizieller Bezahlung von 30 Pfund mit einem großen Wagen, und wir laden alle Stücke auf, nur bei meinem neuen „Dubai-Koffer“ ist der Griff beschädigt, begrenzter Schaden. Der Zoll will bei soviel Gepäck natürlich wissen, was drin ist, ich muss drei Koffer öffnen, aber man ist höflich und hilft mir wieder beim Verschließen. Mein Gepäckträger fragt mich schon immer nach dem Bakschisch, ich müsse es ihm drinnen geben, draußen sei es verboten, lügt er. Meine drei Euro, die ich ihm geben will, verschmäht er, es sei zu wenig, behauptet er beleidigt, was mich wiederum beleidigt.
Draußen wartet Herr Nabil mit einem Fahrer, der mit einem Minibus das Gepäck nach Alexandria zur Schule bringen soll. Ich checke noch einmal das Gepäck, im Wagen, kann dem Träger noch 25 ägyptische Pfund in die Hand drücken (auch nicht viel mehr als drei Euro). Wir warten noch ca. 1 ½ Stunden auf Rami, Herrn Nabils Sohn, der aus Amsterdam kommt, wo er ein Praktikum gemacht hat.
Dann geht es weiter nach Alexandria, 260 km. Die Straßen sind voll, man fährt trotz Anschnallpflicht ohne Gurt (ich schnalle mich natürlich an), wildes Gehupe, unzählige „near-missals“, irgendwann gegen Mitternacht halten wir an einem Shopping-Center, kaufen eine Sandwich Combo mit Cola und French-Fries, ich beobachte voller Erstaunen die Kinder, die fröhlich herumlaufen, ohne müde zu sein, die Menschen, die die Kühle der Nacht (noch 28 ° C) zum Einkaufen nutzen, etwas, das mich mehr an Amerika als an Europa erinnert.
Dann geht es auf die „desert-road“, eine mautpflichtige Autobahn, die durch die Wüste 200 km bis Alex führt. Wir halten noch einmal an, Herr Nabil muss seine „Batterie aufladen“, nach zwanzig Minuten Kurzschlaf geht es weiter.
In Alexandria – es ist inzwischen 2.30 Uhr – ist das Leben schon wieder erwacht (oder noch nicht zur Ruhe gegangen), Herr Nabil kauft kurz vor seiner Wohnung für „den Kühlschrank“ ein, empfiehlt mir die erste Woche nur Wasser aus Flaschen zu trinken, obwohl das Wasser aus der Leitung, die mit Nilwasser gespeist wird, wie er sagt, gut sei.
Die Tochter von Herrn Nabil erwartet uns am Tor der Villa, sie freut sich besonders auf ihren Bruder und schließt ihn nach seiner lange Abwesenheit in die Arme.
Es ist drei Uhr, als ich mich todmüde ins Bett fallen lasse und bei einem erholsamen Schlaf wieder Kraft sammeln werde..
9.8.2007 Der erste Tag
Ich wache gegen 8 Uhr auf, schreibe eine SMS nach Hause, dusche, frühstücke und frage Rami, ob er mir beim Kauf einer Prepaid-Telefonkarte helfen könne. Ich gehe davon aus, dass wir zu Fuß gehen werden, aber vor der Tür geht er auf ein Auto zu, öffnet es mit der Funkfernbedienung, und fordert mich auf einzusteigen. Es sei das Auto seiner Mutter, sagt der 17-jährige. Auf meine Frage, ann man einen Führerschein machen dürfe, sagte er, mit 18, fügte aber gleich hinzu, er würde schon seit drei Jahren Auto fahren, mit Wissen seiner Eltern, nein, Angst vor der Polizei hätte er nicht, er wisse, wo sie stehen, und er könne gut Auto fahren, somit brauche er keine Angst haben, in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden.
Die meisten Telefonläden haben gegen 11 Uhr morgens noch geschlossen, es ist ein Abend- und Nachtgeschäft. Endlich finden wir eine offene Vodafon-Filiale, ich erwerbe eine SIM-Karte für 25 LE, und lade sie für 50 LE auf. Jetzt bin ich mobil. Ich kopiere einen Teil der Adressen, sende SMS mit der neuen Nummer zu wichtigen Personen, und erhalte bald die ersten Bestätigungen.
Rami scheint jedoch keine Zeit zu haben, er telefoniert mit Freunden, meldet seine Rückkehr. Ich nehme mir meinen kleinen Merkblock, auf dem ich mir die Straßen aufgeschrieben habe, und gehe in Richtung Meer. Nach rechts beim Gemüsehändler von der El Salam Street in die EL Hanafiya, dann links in die Fünfte Straße über eine Straße aus weißem Sand, am Weg gesäumt von Gartenvillen, und nach 10 Minuten bin ich am Strand, aber noch nicht direkt, denn ich werde aufgehalten an einer Sperre, denn man fragt mich nach „Bas“, erst später merke ich, dass sich überall Privatclubs befinden, die eine Mitgliedschaft erfordern.
Ich gehe weiter über sandige Wege, jede Stichstraße führt zum Strand, aber überall das Gleiche: „Pass?“ Without Pass no entrance, and…you need shorts!“
Endlich komme ich zue Bitash Agami, der Hauptstraße, an der ich morgens die SIM-Karte gekauft habe und die direkt zum Meer führt. Dort kaufe ich erst einmal einen Shorts, für LE 30 nach harten Verhandlungen, aber wahrscheinlich immer noch viel zu viel. Dann auf dem Weg zum Strand, kleine Garküchen und Grills auf der Straße, mit leckerem Gemüse, Fleisch und vor allem Fisch. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, ich erinnere mich aber an Nabils Worte: „Iss nicht an der Straße!“ Hier soll der öffentliche Strand sein, es ist voll, und natürlich werde ich auch hier abgefangen. „10 Pfund Eintritt, für Sonnenschirm, Tisch und Stuhl, sowie ein Softdrink!“ heißt das verlockende Angebot. Drei junge Männer schleppen das Equipment, einer rammt den Sonnenschirmständer in den Boden, die anderen fragen gleich nach Trinkgeld. Irgendwie bin ich schon wieder sauer darüber. Als ich frage, wo ich mich umziehen könne, zeigt man auf die Klos, aber eine Kabine dürfe ich erst betreten nachdem ich dem kleinen Jungen, der die Klos gemietet habe, zwei Pfund gegeben habe. Ich reagiere ganz sauer, gehe weg, schimpfe, man läuft hinter mir her und lässt mich umsonst die Hose wechseln. Endlich sitze ich in meinem grünen Gartenstuhl, 10 m vom Meer entfernt, genieße den Blick auf die Brandung, in der die meist völlig bekleidete Frauen mit ihren Kindern sich den Rücken von den Wellen massieren lassen.
Ich gehe zweimal ins Wasser, es ist sehr warm, ca. 27° Grad, sagt mir mein Wärmegefühl, aber es ist angenehm hinterher die Verdunstungskälte u spüren. Gegen Nachmittag wird es immer voller, vor mir wird eine Gruppe, bestehend aus sieben Frauen und einem jungen Mann, dem ein Schneidezahn fehlt, platziert. Geführt wird die Mutter von der goldbehangenen Großmutter, eine Frau um 45 sitzt neben ihr, und die vier jungen Frauen scherzen mit dem Schneidezahnlosen. Keine dieser Frauen trägt ein Kopftuch, während immer mehr Frauen, ganz in schwarz, und nur bis auf einen Sehschlitz verhängt, am Strand sitzen und zum Teil auch so ins Wasser gehen.
Ich gehe gegen fünf, hole mir an der Bar meinen im Preis inbegriffenen Softdrink (auf Lufttemperatur gehaltene Cola) und suche den Weg zu Nabils Haus. Leider komme ich nur bis zu McDonald’s, hole mir dort eine Combo mit Chickenburger, bevor ich ohne Probleme nach 25 Minuten den Weg zum Haus finde.
Ich dusche, schlafe ein wenig, Nabil kommt gegen 7 Uhr, sagt, er wolle seine Mutter besuchen, die in der Altstadt lebe. Gegen halb neun kommen wir los. Die Straßen sind voll, die meisten Autos fahren ohne Licht, es werden nur –zur Unterstützung der akustischen Hupe-die Fernlistschalter kurzfristig bedient, Füßgänger versuchen zwischen den Autos die Straßen zu passieren, Ampeln sind kaum, Zebrastreifen überhaupt nicht vorhanden. Er lässt mich an der Corniche, der Straße, die die Küste langführt, heraus, wir verabreden uns gegen 23.30 Uhr vor dem Hotel Cecile, einem alten Bau im viktorianischen Stil, einem Überbleibsel der englischen Kolonialzeit.
Ich setze mich – neben Tausenden anderen – auf die Strandmauer, genieße den Panoramablick über die Bucht, schaue auf die Liebespaare, die händchenhaltend oder in zarter Umarmung ruhender Bestandteil des Treibens sind. „Weshalb habe ich mir Schuhe im Phönix-Center vor der Abreise gekauft?“ frage ich mich, als ich das günstige Angebot in den Geschäften sehe. Aber mehr fasziniert bin ich von zwei Fischrestaurants, auf den Platten liegt eine unendliche Vielfalt, aber ich traue mich nicht, noch nicht, das Angebot wahrzunehmen. Also hole ich mir ein Wasser, lasse mich von Kentucky Fried Chicken anlocken, das Angebot in lateinischen Schriftzeichen bzw. englischer Sprache erscheint mir übersichtlicher, wenn auch nicht besser und appetitlicher. Gegen Ende meines Mahls klingelt mein Handy, Nabil wolle mich in fünf Minuten vor dem Hotel abholen. Wir fahren zurück, durch die noch immer belebten Straßen, durch die Handwerksgassen der Zimmerleute, Tischler und Schmiede und sind gegen Mitternacht zurück. Dann beginnt jedoch eine Szene, die mich nicht erfreut: Nabil gerät in einen fast einstündigen, lautstarken Streit mit seinem Sohn, sie reden, nein sie schreien sich in Arabisch an, ich bin so bedrückt, dass meine Müdigkeit zunächst wie weggeblasen ist.
Trotzdem schlafe ich dann irgendwann ein, ohne bis zum nächsten Morgen aufzuwachen.
Freitag, 10.8.2007
Als ich auf den Balkon gehe, sehe ich Nabil seine Pflanzen wässern, ich grüße freundlich herunter, denke, dass auch ihm der nächtliche Streit unangenehm ist und nicht mehr erwähnt werden soll.
Er hatte mir seinen – und damit auch meinen – geplanten Tagesablauf schon Abend beschrieben, und so verfahren wir: Wir setzen uns ins Auto, fahren zur Hauptstraße (El Bitash), kaufen dort einige Zeitungen, gehen nebenan in einen „Coffeeshop“, bestellen einen Mocca und lesen, d.h. Nabil beginnt die erste seiner drei in Arabisch geschriebenen Zeitungen zu lesen. Als ich untätig in die Sonne blinzel, fragt er mich, ob ich denn die englischsprachige „EL AHRAM“ lesen wolle. Natürlich will ich, er holt eine und dann beginne auch ich intensiv zu lesen. Ich stelle fest, dass die Presse sehr streng mit der Regierung und ihren Entscheidungen umgeht. Ich lese intensiv einen Artikel übe das Krisengebiet im Südsudan, in das mein Sohn ab November als UN-Beobachter entsandt werden wird.
Die Sonne kommt immer höher, ich sitze halb im Schatten eines Bäumchens, während den Kopf in die Sonne hält und ihm der Schweiß die Stirn runter läuft.
Plötzlich bläst er zum Aufbruch. Er hätte um halb zwei eine Verabredung, und wenn wir das mit dem Einzug in die Wohnung noch hinbekommen sollten…..macht er Druck. Ich packe in seinem Haus meine Taschen und Koffer, suche aber mein Arabischbuch, das ich ich morgens auf dem Balkon gelegt hatte, kann es aber nicht finden. Ich sage es ihm, er reagiert sehr oberlehrerhaft, er lege seine Sachen auf den immer gleichen Platz, aber er schaut mit, entdeckt es vor mir, als ich unter den Balkon schaue, das zweite Mal, dass er mich mit meiner Vergesslichkeit ertappt hat, im Auto spricht er mich noch mal an, ob mir das häufiger passiere, er vermutet wohl, einen Alzheimer-Patienten eingekauft zu haben. Als er mir den Schlüssel für die Wohnung gibt, sagt er, es sei der einzige, ich solle gut aufpassen.
Wir fahren die südliche Autobahn zur Schule, 53 km statt der normalen 37 km, sagt er und drückt aufs Gas. Zunächst fahren wir zum Neubau. Er sei drei Wochen im Verzug, sagt er, aber die Anzahl der Arbeiter werde jetzt verdoppelt, es werde auch Sonntag und nachts gearbeitet, um den Termin – September – zu halten. Es ist eine großzügige Architektur, eine nach oben offene Lobby, er zeigt mir meinen Raum, meine Klasse, die Kantine und den Arztraum, alles was ich brauche, sei in der Nähe, scherzt Nabil Der Architekt, einerkleiner Mann mit einem lustigen Gesichtsausdruck, ist da, Nabil scheint noch zufrieden mit seiner Arbeit.
Dann fahren wir zur alten FUTURE SCHULE, 1 km entfernt, ich packe die meisten Dinge, die in der Schule bleiben sollen, aus, die schweren Bücher, CD’s und DVD’s, laden die drei Ladies ein, die meine Wohnung noch einmal grundreinigen sollen, und fahren dann zur Wohnung, 5 Minuten von der alten Schule entfernt. Sie liegt in Mamura, kein Stadtteil, sondern ein Ferienort, umgeben von einer Mauer, passierbar nur nach einem Sicherheitscheck und Ausweiskontrolle, die Straße sind voll. Nabil hat erst Schwierigkeiten, das Apartmenthaus (es heißt Yasmine-Turm) zu finden, er entschuldigt sich, gut, denke ich, dass ihm auch so etwas passiert. Die drei Damen machen sich an die Arbeit, Nabil fährt mit mir sofort wieder weg, gibt mir eine für mich neue Heimatkundestunde im Schnellverfahren, damit ich zurückfinde und die Struktur der Feriensiedlung erkenne, wir fahren durch den Montassah-Park, der Sommerresidenz des letzten ägyptischen Königs Faruk, der 1953 von Gamal Abdel Nasser ins Exil geschickt wurde. Am Tor zeigt er mir auf der gegenüberliegenden Seite den Supermarkt „Fathallah“, hier solle ich einkaufen und dann für 5 Pfund mit einem Taxi zur Wohnung zurückfahren. Ich gehe in den Supermarkt, schaue mir das Angebot an, entscheide mich aber dann, erst meine Wohnung einzuräumen, und am nächsten Tag einzukaufen. Also gehe ich zu Fuß durch den Montassah-Park, eine äußerst gepflegte Anlage, die auch zum morgend- oder abendlichen Joggen einlädt, in den alten Palästen befinden sich Hotels, eine elegante Marina am Meer, und natürlich auch McDonald’s. Nach 25 Minuten bin ich zurück, meine Damen sind fast fertig, ich gebe ihnen – wie mit Nabil abgesprochen zusammen 60 Pfund, meine Wohnung ist sauber, ja, es ist jetzt meine Wohnung. Ich beginne einzuräumen – und ich merke, wie viel Mist ich mitgeschleppt habe, unnötige, hier viel günstiger zu erwerbende Dinge, aber ich arbeite mich durch. Zu allem Überfluss bricht noch die eine Wäschestange im Schrank heraus, ich muss reparieren – zum Glück habe ich Duct-Tape dabei, und wieder einordnen. Dabei fallen mir meine zerknitterten weißen Hemden auf, ich lege sie beiseite, beabsichtige sie nach dem Einräumen zum Bügeln zu bringen.
Die Klimaanlage kriege ich nicht in Gang, aber die Ventilatoren laufen auf Hochtouren, ich habe auf dem schattigen Balkon 38 ° C. Mir läuft die Soße nur so runter, du musst was essen, denke ich, was Salziges, ich habe den ganzen Tag außer Mocca, Wasser und einem Stück Schokolade nichts gegessen. Gegen 19 Uhr bin ich fertig, dusche in der Sitzbadewanne, merke, dass das Wasser zwar gut abläuft, aber aus einem anderen Siel auf die Badezimmerfliesen läuft. Ich wische auf, schreibe es auf meine „Mängelliste“.
Dann gehe ich nach Mamura, bringe die Hemden weg (soll ich am nächsten Tag um 5 Uhr wieder abholen können), entdecke den Stadtteil, suche und finde ein Restaurant (Pizzeria, vor allem wegen der Speisekarte in Englisch), esse einen Vorspeisenteller, hinterher ein „Pizza Marinara“ mit Shrimps. Gesättigt gehe ich zum Strand, frage mich, wo diese Menschen herkommen. Ein dichtes Gedränge auf der Promenade, man zeigt sich, geht in die Cafés, oder setzt sich an den Strand. Auch ich will das tun, im Laufschritt stellen fünf Jungens mir einen Tisch auf, putzen ihn und die Stühle, ich bestelle eine Cola, man bringt mit Kleenex-Tücher und Wasser und hinterher die Cola. Ich sitze 5 m vom Wasser entfernt, und als ich meine Wasserpfeife rauchenden Nachbarn sehe, bekomme ich auch Lust auf ein Pfeifchen. „Shisha“, frage ich den Oberkellner im gelben Hemd, und man bringt sie mir, neues Mundstück, legt die Kohle auf das durchlöcherte Alu-Papier und ich sauge voller Vergnügen, den Blick auf die Bucht gerichtet, noch immer 32 ° C, wie ich später feststelle, die Brandung rauscht, so dass ich kaum den Worten eines Telefongesprächs, das ich mit der „Heimat“ führe, lauschen kann. Voller Zufriedenheit beabsichtige ich nach Hause (wie das klingt!) zu gehen, aber nun kommt der Eklat. Mein Oberkellner will 40 Pfund haben, für Cola und Wasserpfeife, das ist eine Frechheit, er meint auch, für die Kleenextücher, die ich nicht benutzt habe. Natürlich kann er genauso wenig Englisch wie ich Arabisch. Ich weigere mich, dann kommt jemand, der ein wenig Englisch spricht. Cola 9, Wasserpfeife 14, das angebrochene Wasser, plus Taxes, er kommt auf 32 L.E. Ich zahle, ärgere mich wieder über mich selbst, bin gegen Mitternacht im Bett.
Samstag, 11. August 2007
Ich wache gegen 5 Uhr auf, versuche einen Tagesplan zu erstellen. Laufen, Schwimmen, Einkaufen sind die „to dos“, ab 6 laufe ich zum Strand, entlang der hier in der Nachbarschaft gelegenen Residenz von Mubarrak, dem ägyptischen Präsidenten, über die Corniche zur Strandpromenade – aber es ist genauso voll wie gestern Nacht. Zum Strand komme ich nicht, überall ist abgesperrt, es wird der Dreck der vergangenen Nacht weggeharkt bzw. gefegt. Dann wird an den ersten Stränden Einlass gewährt, Clubkarte, Bezahlung für Stuhl und Sonnenschirm, dann geht’s rein, jeder wartet ordentlich in der Schlange, für diese Eigenschaft braucht man hier keine Missionare mehr. Ich laufe bis zum Montassah-Park, kann nicht rein, weil ich die VIP-Karte leider nicht dabei habe, laufe zurück, langsam, meinem Alter angemessen, und ich bin das erste Mal heute schweißgebadet, aber sicher nicht das letzte Mal.
Ich dusche, gehe durch den Montassah-Park zum Fathallah-Supermarkt, und nun beginnt mein Großeinkauf. Neben 18 l Wasser kaufe ich Grundnahrungs- und Reinigungsmittel, informiere mich über das Angebot, lerne arabische Zahlen zu lesen und habe 332 L:E. zu zahlen, fünfzig Euro, wenig für diese Menge. Für die Rückfahrt winke ich ein Taxi herbei, der Fahrer hilft mir einladen, auf meine Frage, ob er Englisch spräche, sagt er “Yes“, aber damit hatten sich seine Kenntnisse erschöpft. Die Fahrt geht durch Mandara, der Stadtteil, zu dem auch die Schule gehört, auch hier ein unglaubliches Treiben auf und an den Straßen. Als wir ankommen, hilft er mir meine 20 Tüten ins Haus zu bringen, will aber nicht mehr als die vereinbarten 5 L.E. (70 c) haben.
Ich räume ein, koche mit Rindfleisch, Zwiebeln, Tomaten, Kartoffeln und Reis ein schmackhaftes Gericht, will waschen, aber auch mit der Waschmaschine komme ich nicht klar, also rauf auf die Mängelliste. So , und jetzt sitze ich bei exakt 38 ° C auf meinem Balkon und tippe mein Tagebuch…
Ich hole am Nachmittag meine Hemden, 11 Stück bügeln, kostet 15 L.E.,hole eine neue Vodafone-Karte, die andere ist durch drei Heimatgespräche schon leer, suche einen Friseur, finde aber keinen. Zurück in der Wohnung esse ich meinen Eintopf, schalte den Fernseher ein und sehe sofort Bundesliga – im Ersten. HSV hat bei Hannover gewonnen. Ich bleibe am Fernseher hängen, nach der Tagesschau sehe ich bei VOX einen Spielfilm mit Megg Ryan, über betrogene Partner. Ich schaue nicht zuende, bin zu müde, gehe vor 10 Uhr ins Bett.mi
Tagebuchauszug
Sonntag, 12. August 2007
Heute soll mein erster Arbeitstag sein. Ich wache um 6 Uhr auf, jogge, gehe baden im Meer (klettere über den Zaun, weil es nur Privatstrände gibt), will mir Frühstück machen, aber der Gasschlauch scheint ein Leck zu haben. Also kalt, Milch, Brot, Käse, Tomate, Oliven, so richtig mediterran. Nach dem Duschen ziehe ich mir mein weißes Hemd an, suche einen Schlips aus und gehe so, das ich um 9 Uhr vor Zahran-Supermarkt auf den Fahrer warte. Ich rufe ihn an, aber ernimmt nicht ab, auch bei Herrn Nabil ist das Handy ausgeschaltet. Um 20 nach 9 winke ich ein Taxi herbei, auf dem Weg rufen mich der Fahrer und Herr Nabil an, aber da bin ich schon in der Schule.
Die Security will mich kaum reinlassen, Nabil sei noch nicht da. Ich bitte Ehsan (die muttersprachlich deutschsprachige Co-Schulleiterin) zu kommen, in dem Moment kommt auch Nabil. Beide sind sauer über den Busfahrer, dass er nicht rechtzeitig da war, später wird ihn Nabil richtig zusammenscheißen.
Ich sitze mit Ehsan bei Nabil, er führt Dauertelefonate, spricht mich aus dem Hinterhalt immer wieder an, auch wegen der Mängel in meiner Wohnung.
Dann umreißt er mir und Ehsan gegenüber unsere Aufgabenbereiche: Es ist nichts anderes, als was ich erwartet habe. Er will mir und Ehsan freie Hand lassen, ich solle zusätzlich noch die zweite Klasse übernehmen (für mich neu). Dann ziehen Ehsan und ich ab. In Ehsan’s Zimmer im alten Gebäude führen wir unsere Planungsgespräche. Unterbrochen vom Aufnahmetest einer sehr cleveren 3-jährigen, die mit Papa, Mama und kleiner Schwester gekommen ist. Es ist auf einmal drei Uhr, ich habe nichts gegessen, Kopf und Beine sind mir schwer geworden. Wir verabschieden uns von Herrn Nabil, der mit seinem Architekten zusammen sitzt, er scheint wieder besser gelaunt zu sein als noch am Morgen. Ehsan, deren Chauffeur vor der Schule wartet, bringt mich nach Hause (hab mich schon an den Ausdruck gewöhnt), dort mache ich mir erst einmal etwas zu essen, kalt, weil ich mich an den Gasherd nicht rantraue Ich suche wie verrückt meinen Arabisch-Sprachführer, er ist das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen verschwunden, vielleicht ist er beim Bügler oder beim Supermarkt, in dem ich die Vodafone-Karte geholt habe, liegen geblieben.
Außerdem warte ich auf den Hausservice, auf Grund meiner Klagen wollte er um 6 Uhr kommen, so sagte er mir bei einem Anruf gegen 12 Uhr. Aber er kommt nicht. Um Viertel nach 6 bin ich unsicher, ob ich die Klingel überhört habe. Um halb Sieben rufe ich an, aber das Handy sei ausgeschaltet, wird mir auf Arabisch und Englisch mitgeteilt. Um 7 Uhr schicke ich eine SMS, dass ich gewartet habe.
Dann gehe ich nach Mamoura rein, frage wegen meines Arabisch-Buches nach, beim Vodafone-Kartenhändler und beim Bügler, aber beides Fehlanzeige. Ich bin traurig über den Verlust und sauer auf mich, zu oft versuse oder vergesse ich Dinge, Nabil war es schon in Harburg aufgefallen. Ich bin schlecht drauf, will zum Strand und gehe bei der Moschee vorbei. Plötzlich bin ich in der Basar-Straße, von der Ehsan mir berichtet hat. Es gibt frisches Brot, frischen Fisch, Obst und Gemüse, also werde ich sicher auch bald hier einkaufen. Und- ich entdecke einen Friseur, da will ich heute hin.
Der Strand bzw. die Promenade ist unglaublich bevölkert, aber auf Shischa am Wasser hab ich heute keine Lust, es ist mein erstes richtiges Tief.
13.8.2007
Gegen halb sechs wache ich auf, ziehe mich zum Joggen an, in der Hoffnung, ich wäre alleine am Strand. Ist aber nicht, schon wieder schieben sich Hunderte über die Promenade. Ich springe an derselben Stelle wie gestern über den Zaun, als ich mich ausziehe, werde ich jedoch gleich wieder zurückgepfiffen. Der Strand ist nicht frei, das erste Land, in dem ich das feststelle! Also wieder zurück, Gymnastik, für den Rücken, die Hüfte (tut mir seit dem Einzug weh, wahrscheinlich durch zuviel Tragen) ich mache Frühstück, gleichzeitig schon Mittag, brate Auberginen und Tomaten ab. Schlage zwei Rühreier auf, dusche und frühstücke in Ruhe. Heute brauche ich erst um 9.10 Uhr aus dem Haus, der Fahrer will um 9.30 Uhr am Zahran-Supermarkt sein. Zwanzig nach ist er da, in der Schule wartet bereits Ehsan auf mich. Sie ist unten in der Lobby in einem der vielen Büros, wir wollen die Einladung für den 8. September gestalten, dem Eröffnungstag der Deutschen Future Schule. Helfen tut uns Marouan, eine der Sekretärinnen, die gewieft im Umgang mit dem PC sein soll. Es wird ein Kooperationswerk, sowohl Ehsan als auch ich arbeiten am Design, Ehsan macht noch die arabische Übersetzung, dann fällt leider vor dem Speichern der Strom aus, so dass hinterher noch alles wiederholt werden muss. Als es fertig ist, kriegt Herr Nabil die Vorlage, er will sie eventuell noch bearbeiten, bevor es in die Druckerei geht.
Dann wieder ein Aufnahmegespräch. Ein kleiner Murat, gerade, vier, soll für den Kindergarten angemeldet werden. Die jungen Eltern, Uni-Mitarbeiter und Englisch-Lehrerin, wollen dass ihr Sohn noch Deutsch lernt, mit Englisch und Französisch ist er bereits konfrontiert worden. Er besteht den Test mit Glanz, soll noch einige Tage den Sommerkurs besuchen, um das Pensum der Spielgruppe aufzuholen. Sommerkurs bedeutet Einzel- oder Kleingruppenunterricht, die Eltern, die ihr Kind zur Future-Schule schicken, sind schon unglaublich ehrgeizig und haben für ihre Kinder Ziele bis ins Erwachsenenalter hinein.
Mich verblüfft das Management, die Professionalität, mit der die „Kunden“ bedient werden und wie auf ihre Bedürfnisse eingegangen wird. Die Nachfrage ist da, und damit ist auch der wirtschaftliche Erfolg gesichert.
Es ist schon wieder Mittag, zu der Arbeit, die wir uns vorgenommen haben, kommen wir nicht, wollen es morgen machen. Wir sprechen noch über professionelle Distanz, die in unserer Rolle als „Deutscher Leiter“ und „Arabische Leiterin“ der Deutschen Future Schule notwendig erscheint.
Ich bitte Ehsan, mit mir jeden Tag 10 arabische Vokabeln zu trainieren, sie will es gerne machen. Ich frage im Computerraum noch e-mails ab, dann fährt mich Ehsan wieder nach Hause.
Ich ziehe mich aus bzw. um, esse meine Auberginen, wasche noch eine Trommel Weißes, und setze mich an den PC, schlafe dabei jedoch ein. Ich muss erstmal realisieren, dass ich in Ägypten arbeite!
Nach der ersten Woche in Alexandria
16.8.2007
Eine Arbeitswoche habe ich hinter mir, 8 Tage bin ich weg.
Ich habe heute einen schlechten Tag. Ich ärgere mich. Vor allem über drei gestohlene Tage, an denen ich auf den Typen gewartet habe, der meine Klimaanlage und meinen Kühlschrank reparieren sollte- ich wartete Stunden, kein Anruf, ans Handy ist er nicht ran gegangen. Ich bin kraftlos! Seit letztem Freitag macht mir mein Hüftknochen zu schaffen, ich habe wohl beim Schleppen zu sehr belastet, vielleicht ist auch bei mir eine künstliche Hüfte fällig.
Außerdem habe ich etliche SMS in die Heimat geschickt, und Antwort gibt es auch nicht. Und jetzt das Wochenende, das ich alleine verbringe, warum habe ich in Deutschland alles verlassen, andere Menschen alleine gelassen mit ihren Problemen, sie verstärkt, nur um mich zu beweisen? Heute Abend will ich heulen, und am Besten kotzen, so mies fühle ich mich.
Dabei war die Woche nicht schlecht. Ich bin an der Future-Schule gut aufgenommen worden, habe, glaube ich, einen guten Eindruck hinterlassen, viel gearbeitet und auch Spaß und Freude gehabt, also auch die Bestätigung, die ich immer suche.
Heute zum Beispiel habe ich es genossen, alleine zu arbeiten, mich selbst durchzubeißen, den Tag für mich zu verbringen. Bis Mittag war der Tag noch in Ordnung, mein gestern gekochtes Essen hat mir geschmeckt (Hähnchen mit Tomaten, Bohnen, Zwiebeln, Kartoffeln und Reis), aber dann das Warten, auf den blöden Typen, der die Klimaanlage nicht in Gang kriegt, der nicht mal Bescheid sagt, wenn er nicht kommt, und jetzt sitze ich hier…Wochenende, da hatte ich mir doch so viel vorgenommen, und ich war nicht einmal am Strand. Das ärgert mich auch, dass ich morgens um 6 Uhr nicht einmal zum Strand kann, weil irgendwelche selbsternannten Security-Leute keinen ohne Bezahlung, Ausweis oder vor der Zeit ans Wasser lassen. Dabei habe ich doch eine Mamoura-VIP-Karte! Wenn ich wenigstens schon den DSL-Anschluss hätte, dann könnte ich wenigstens e-mails nach Deutschland schicken und wäre nicht so einsam.
Also, ich muss mich wieder fangen. Muss Aktivität zeigen, schreiben, Arabisch lernen, mich ablenken, damit mir Ägypten lebenswert erscheint. Ich muss jetzt überlegen, wie ich den Abend beende, heulend im Bett oder neue Eindrücke sammelnd auf der überfüllten Straße. Ich werde jetzt Buket und Pinar, meinen türkischen Freunden, eine mail in Word schreiben und dann versuchen, sie im Internetcafé zu senden. Morgen wird die Welt wieder anders aussehen. Obwohl-morgen haben drei mir sehr liebe Menschen in Deutschland Geburtstag. Denen wäre ich dann auch gerne sehr nahe.
Ich bin doch ein verdammt einsamer Mensch. Oder ich mache mich dazu. Oder es ist mein Zwang zum Leiden, weil ich mich sonst nicht wohl fühle.
Zum ersten Mal nervt mich auf meinem Balkon der Lärm von der Straße und aus den anderen Häusern. Und jetzt läuft mir noch ein Schauer und kalter Schweiß über meinen Rücken, weil ich den Eindruck hatte, Leute seien in meiner Wohnung, natürlich eine Täuschung. Aber so steigert man sich in etwas hinein.
Es riecht herauf nach dem Duft der Wasserpfeifen, natürlich könnt ich jetzt am Meer sitzen und eine Pfeife rauchen, das hat mir am ersten Abend in Mamoura so gut gefallen. Oder ich könnte fern sehen. Eins von dreihundertneunundachtzig Programmen, die die Welt über Satellit bietet, aber mir reichte heute schon die Tagesschau, tote Polizisten in Afghanistan, Erdbeben in Peru, Mafia-Mord in Duisburg, und die ca. 150 Erotik- und Pornoprogramme reizen mich auch nicht, ich empfinde sie im Moment als total abstoßend, das ist bei mir zu sehr mit Sympathie und Zuneigung verbunden, aber davor bin ich ja weggelaufen, weil es mich angeblich erdrückt hat. Heute Abend bin ich älter geworden, und Ägypten sollte doch ein Jungbrunnen für mich sein!
Tagebuchauszug
17.8.2007, Freitag
Heute ist Freitag, muslimischer Feiertag, und damit Wochenende. Ich will heute Alex entdecken! Gehen halb 10 gehe ich los, finde vorher in der Bauchtasche meinen Sprachführer – was mich extrem glücklich macht – und frage vor dem Zahran Supermarkt nach einem Bus, der entlang der Corniche, der Straße am Mittelmeer, entlang fährt. Es ist der richtige, ich zahle ein Pfund Fahrgeld, habe einen guten Platz, der mir durch die Frontscheibe freie Sicht ermöglicht. Wir fahren entlang des Montaza-Parkes, am Fathalla-Einkaufszentrum vorbei, und sind auf der Corniche. Die Strände zur rechten sind schon dicht belegt, grüne und orange Sonnenschirme mit Werbeaufdrucken wechseln sich ab, ich meine, dass ich nicht Zehn-, sondern Hunderttausende am Strand sitzen sehe. Und es strömen immer neue Massen durch die Gates hinein. Die ersten 20 m des Wassers bilden menschliche Wellenbrecher, in Dreierreihen steht man mit dem Rücken zur Welle und lässt sich abkühlen, sofern das bei 28 ° Wassertemperatur überhaupt möglich erscheint. Männer baden in Shorts, Frauen in langen Gewändern mit Kopftuch , umziehen tut man sich nicht am Strand, man lässt die Kleidung am Körper trocknen. Der Bus fährt ungefähr 15 km entlang der Küste in westlicher Richtung, kurz vor dem Osthafen biegt er links zum Hauptbahnhof ab. Soweit will ich nicht, also steige ich an einer Stelle aus, an die ich vom Februar erinnere und die Nabil als historisches Zentrum bezeichnet hat. In einem kleinen Park stehen Relikte aus römischer Zeit.
Meine Stadtplan im sonst sehr guten Reiseführer gibt wenig her, aber mein Orientierungssinn hat mich in meinem Leben selten im Stich gelassen. Nach einer halben Stunde bin ich am Midan Saad Zaghlul, in dessen Mitte die Statue eines Freiheitshelden, der gegen die Besatzung durch die Engländer gekämpft hat, steht. Hier soll auch damals um 40 v.Chr. Kleopatra für ihren Liebhaber Antonius einen Tempel errichtet haben, von dem allerdings nichts mehr zu sehen ist.
Stattdessen steht dort das im maurischen Stil erbaute Sofitel Cecil, wo Winston Churchill mehrfach nächtigte und viele Jahrzehnte der britische Geheimdienst residierte. Bereits am zweiten Tag meiner Ankunft hatte mich Nabil hier für zwei Stunden abgesetzt. Zum Glück erfahre ich in meinem Reiseführer, dass schräg gegenüber des Hotels die Touristeninfo sei. Sie hat geöffnet, und eine freundliche junge Dame bietet mir sofort auf Deutsch einen schmalen, aber guten Stadtplan an.
Ich gehe weiter entlang der Corniche, genieße den Blick über den Osthafen, die Zitadelle an der Einfahrt, trinke einen Tee auf der Straße vor einem der Hotels mit Blick aufs Wasser und nehme dann einen Bus nach El Anfushi, wo der Fischereihafen und die Festung Qaithai steht. Es ist eine unglaubliche Atmosphäre: der kühle Wind vom Mittelmeer, die vielen Angler, Touristen, aber meist ägyptische (jedenfalls höre ich kein Russisch und Deutsch), und der atemberaubende Blick auf die Skyline der Stadt, die im Osten bis über den Horizont hinausragt. Ich gehe in das Fischmuseum, das seinen Eintritt von einem Pfund gerade Wert sein mag, dann in die Zitadelle, wo Touristen 20 Pfund bezahlen müssen. Aber sie ist es wert. Die Festung wurde an der Stelle gebaut, an der in der Antike der Leuchtturm von Pharos, eines der 7 Weltwunder, gestanden haben soll. Die Mauern und die Schießscharten, durch die der Wind zieht, schaffen ein angenehm kühles Raumklima. Im Inneren befindet sich eine Kunstausstellung einheimischer Künstler, es ist ein guter Ort für solche Events. Ich will Fotos durch die runden und eckicken Öffnungen der Burg auf Meer und Stadt machen, muss aber feststellen, dass meine Minox, die meine Reisen über dreißig Jahre begleitet hat, anscheinend den Geist aufgegeben hat.
Als ich anschließend am Fischereihafen entlang gehe, der auf mich wie durch ein Teleobjektiv betrachtet wirkt, ruft der Muezzin zum Mittagsgebet. Überall bleiben die Männer stehen, ziehen sich die Schuhe aus, legen sich ein Stück Pappe oder ein Tuch aus und beten, es sind Tausende, die diesem Ritual folgen. Dann wende ich mich nach rechts, um zum Westhafen zu gelangen. Ich passiere die Moschee des Abu Al Abbas Al Mursi, dem größten islamischen Gotteshaus der Stadt, die auch im maurischen Stil errichtet wurde, ihre vier Minarette unterscheiden sich in ihrer Bauweise stark von den mir aus der Türkei bekannten Moscheebauten. Tausende Männer strömen nach Beendigung des Mittagsgebets aus dem Moscheehof. Auf den Straßen dieses Stadtteils liegt nicht nur unendlich viel Müll, sondern es tost das Leben. Von Pferdekarren preisen Obst-, Gemüse- und Fischhändler ihre Waren über eine batteriegetriebene Verstärkeranlage an, Frauen lassen aus den oberen Stockwerken der Häuser Körbe herunter, die mit Waren gefüllt werden, Männer sitzen zwischen dem Straßenmüll und trinken Tee, Hühner laufen herum und weichen den Autos aus, und an schattigen Stellen stehen, Schaf- und Ziegenherden, die auf einen Käufer warten, der seinen Bedarf an frischem Fleisch decken will. Nach 15 Minuten bin ich am Westhafen. Hier sind neben den Fischern die Bootsbauer zuhause, die Gerippe vieler Fischerboote und Yachten liegen auf dem Strand, und eine große Yacht im Rohbau wird gerade unter Mithilfe von über 50 Männern ins Wasser gezogen. Auch hier wieder die Sonnenschirme und Stühle, auf denen die Menschen sitzen, und die verschleierten Frauen, die im Wasser mit der Brandung spielen.
Ich gehe zurück zur Corniche, um mir ein Restaurant zu suchen, nach dem Besuch des Hafens ist mir nach Fisch. Ich steige in einen Bus, um mich zurück zum Midan Saad Zaghul bringen zu lassen. Ich entsinne mich an Fischrestaurants in einer Seitenstraße, kann sie jedoch leider nicht wieder finden. Ich gehe in ein touristisches Speiserestaurant an der Corniche und bekomme dort die genau wie in der Türkei Meze genannten Vorspeisen, gut schmeckende Tintenfiche sowie einen schwarz gegrillten Fisch des Tages, hinterher einen Tee, viel Wasser und Brot. 50 Pfund dafür ist viel Geld, aber ich habe die Preise vorher in der Speisenkarte gesehen.
Vor dem Cecil frage ich nach einem Bus nach Mamoura (ich muss zurück, weil mich mein Elektriker inzwischen angerufen hat, dass er um 6 kommen will, um den Kühlschrank neu mit Kühlgas zu befüllen), man nennt mir die Nr. 6, und meine neuerworbenen Kenntnisse arabischer Zahlen lassen mich den Bus gleich finden. Ich schlafe zwischendurch ein, bin total müde. Zum Glück lässt mich der Bus fast vor meiner Haustür in Mamoura raus.
Kurz vor 6 kommt tatsächlich Amir, mein zahnloser Elektriker, der Kühlschrank läuft nach der Befüllung. Er wartet auf den Elektroniker, der die AC in Ordnung bringen soll, aber der kommt nicht. Wir trinken einen Tee zusammen, ich schenke ihm gegen Halsweh Schweizer Hustenbonbon, und er verrät mir, wo ich Schweinefleisch und Alkohol kaufen kann, er würde mir sogar morgen alles vorbeibringen, bietet er mir an, ich bin noch nicht so weit. “Wir Christen müssen zusammen halten“, gibt er mir zu verstehen, und zeigt mir noch mal sein eintätowiertes Kreuz auf dem rechten inneren Handgelenk.
Gegen halb neun geht er, will aber morgen mit dem Kollegen wieder kommen.
Es ist jetzt halb elf, ich werde jetzt noch raus gehen und mir ein Internet Cafe suchen, um einige e-mails abzuschicken. Hoffentlich kriege ich bald meinen DSL-Anschluss.
Tagebuchauszug
Fischzug 24.8.07
Es ist Wochenende, und ich will wieder auf Stadterkundung. Heute habe ich mir den Montazah-Park vorgenommen, für den ja einen Ausweis habe. Ich schlendere gemächlich, von der Mamourah-Anlage kommend, in den Park hinein. Die Hitze ist jetzt, um 10 Uhr, schon fast unerträglich, mein Hemd ist nach wenigen Schritten total durchgeschwitzt. Ich gehe in Richtung Meer und sehe vor mir die Marina liegen. Am Strand der Marina liegen auf der einen Seite wieder Tausende von Menschen, auf der anderen Seite, eine kleine Insel, die man über eine Brücke im venezianischen Baustil (die Anlage des Parks und seine Paläste wurde im späten 19. Jahrhundert von einem italienischen Architekten konzipiert) erreicht, sind fast menschenleer. Dort möchte ich liegen, einen Sonntagsdrink nehmen, lesen und die angenehmen Seiten des Feiertags leben. An zwei Eingängen, wie überall voller Security, frage ich, aber man teilt mir mit, dies sei „Private Beach“, nur für Mitglieder. Das eine ist der Yachtclub, das andere der Surf und Tauchclub von Alexandria. Also, was muss ich als nächstes tun? Mitglied in einem Club werden, um die Privacy am Strand zu genießen.
Am anderen Strand steht eine lange Schlange von Normalbürgern, sie müssen 8 L.e. Eintritt und für den Stuhl sowie 7 L.e. für den Sonnenschirm bezahlen. Doch da will ich nicht hin, daran kann ich mich noch nicht gewöhnen. Also gehe ich durch den Montazah-Park, suche mir unter den Bäumen eines Pinienhaines eine schattige Bank, döse vor mich hin und stelle mir die immer wiederkehrende Frage, ob ich das gefunden habe, was ich suche, oder ob ich irgendeinem Traum – wie so oft in meinem Leben – hinterher laufe. Meine rechte Hüfte schmerzt seit genau zwei Wochen, als ich meine schweren Koffer in meine Wohnung im zweiten Stock gewuchtet habe, spürte ich einen stechenden Schmerz. „Brauche ich jetzt auch noch eine künstliche Hüfte?“, und ich denke dabei an meine Schwester und meinen Bruder, die seit längerer Zeit davon reden, und an meine Mutter, die sich die letzten Lebensjahren mit unglaublichen Hüftschmerzen geplagt hatte.
Nach dem Lernen einiger arabischer Vokabeln, einem Kurzschlaf von 15 Minuten gehe ich weiter und bleibe vor einem wunderschönen Gartencafé stehen. Ich entschließe mich Platz zu nehmen, bestelle mir bei einer Kellnerin mit offenem Haar (das erste Mal, dass ich hier so etwas sehe) eine Cola, bleibe sitzen, und dann noch einen Kaffee „mazbut“, vom Zuckergehalt auf den Punkt gebracht. Sie kommt mit dem Kaffee, füllt ihn aus dem langstieligen Aluminiumbehälter in die Tasse um und ich genieße das anregende Aroma. Dann verlange ich die Rechnung, sie kommt und sagt mir ohne Beleg „zwanzig“. Als ich sie ungläubig anschaue, zeigt sie auf meine 20 – Pfund-Note, die ich in der Hand halte. Ich warte, dass sie vielleicht Wechselgeld zurückbringt, aber Fehlanzeige. Sie weicht meinem Blick aus. Als ichvor dem Gehen noch zur Toilette gehe, frage ich den „Maitre“, was bei ihm Kaffe und Cola kostet. Es sind genau neun Pfund. Als die Madame wiederkommt, fragt er, was sie abkassiert hat. Als ich ie scharf anschaue, bestätigt sie „Zwanzig“. Der Maitre entschuldigt sich für sie, gibt mir das Wechselgeld zurück und ich bin zufrieden, dass ich mich gewehrt habe. Am Ausgang des Montazah-Parks gehe ich auf die Corniche, schaue mir den „Private-Beach“ des gegenüberliegenden Montazah-Sheraton-Hotels an (Frauen im Bikini – sonst habe ich das auch noch nicht in Alexandria gesehen). Ich entschließe mich weiter in die Stadt zu fahren, zum „ Midan Saad Zaghlul“, den ich ja schon kannte. Die Sammeltaxifahrt hat die gewohnte Qualität, ich sitze diesmal hinten, zwei völlig verschleierte junge Frauen (woher weiß ich das eigentlich? Ich konnte nur die Augen sehen) versuchen mit mir verbalen Kontakt aufzunehmen, den ich ich nur mit einem Lächeln beantworten kann, die eine kippt aus einem Kühlbehälter (zum Glück kaltes) Wasser auf den Sitz, so dass ich eine nasse Hose, die Frauen einen nassen Rock haben, der Fahrer ist der schnellste auf der Corniche, und ich bin froh, als ich endlich an meinem Ziel aussteigen darf. Ich genieße die Luft und den Blick über den Osthafen, als meine Augen ein Boot entdecken, das von Hand gerudert wird und auf dem ca. 10 weitere Männer ein Netz ins Wasser gleiten lassen. Sie rudern dann zum Ufer, genau an die Stelle, an der ich stehe, die Männer springen ab, nehmen das Seil, an dem das Netz befestigt ist, mit an Land und beginnen das Netz einzuholen. Die Boje, die den Anfang des Netzes anzeugt, liegt noch ca. 400 m vom Ufer entfernt im Wasser. Sie haken einen Bauchgurt in das Seil, und vereint wird es Meter für Meter eingeholt, ist einer an der Mauer, hakt er sich aus und geht wieder zum Ufer. Weiter westlich ehe ich eine andere Mannschaft, sie holen ebenfalls ein Seil ein. Ich brauche sehr lange, bis kapiere, dass dies die andere Seite des Netzes ist, dessen Seilende gleich am Ufer liegen geblieben war, während die andere Seite mit dem Boot in der Bucht ausgelegt wurde. Beide Crews gehen aufeinander zu, lassen ihre Seile kreuzen, damit das Netz immer enger zusammen kommt. Als beide Gruppen die Bojen eingeholt haben, springen zwei Männer im meinem Alter ins Wasser und gehen mit einem kleinen Absperrnetz in die Öffnung, damit keine Fische nach außen entweichen können. Der eine, Typ Alexis Zorbas, hat die ganze Zeit auch beim Schwimmen eine brennende Zigarette im Mund, bis es für ihn erforderlich wird, kurz unterzutauchen. Während die beiden Mannschaften an Land das Netz Meter für Meter dichter ans Ufer bringen, schlage die beiden Netzhalter mit den Händen aufs Wasser, denn die Fischlein versuchen durch Springen über die Netzkante ihrem sicheren Ende zu entweichen. Es wird für die Männer immer schwerer, mit einer festen Folie bauen sie eine schiefe Ebene ins Wasser hinein, auf der sie ihren Fang hochziehen können. „Fivehundred Kilo, good catch“, sagt ein englischprechender Mann, der schon seit nunnmehr einer Stunde mit mir und vielen anderen diese Aktion mit Spannung verfolgt.
Als das Netz oben ist, wird es sofort geöffnet. Zwei einen halben Meter lange, schwarze Fische scheinen etas Besonderes zu, sie kommen gleich in einen Müllsack.
Dann wird von Hand sortiert. Fünf riesige Plastikwannen werden geholt, und nach Größe und Art werden sie hineingeworfen. Zum Schluss bleibt ein riesiger Haufen sardinenartiger kleiner, silbrig glänzender Fische übrig, die mit Eimern in große Plastiksäcke geschaufelt werden.
Zwei Stunden beobachte ich in der sengenden Sonne dieses Schauspiel. Ich spüre, dass meine nackten Füße in den Sandalen völlig verbrannt sind, mein Hemd ist zum dritten Mal am Tag durchgeschwitzt und schmeckt leicht salzig.
Ich stelle fest, dass inzwischen mein Telefon geklingelt hat, mein Telefonanschluss funktioniert wohl wieder. Ich sehe im Display die Nummer meines Hausanschlusses.
Ich will noch einkaufen und fahre mit dem Bus Nr. 11, der in Mamourah endet, bis Fathalla. Dort esse ich „Junk-Food“ bei Möven, einer ägyptischen Fast-Food-Kette, Hähnchen mexikanisch mit Pommes und großer Cola, umgerechnet zwei Euro.
Ich fahre mit einem Taxi zu mir, bringe die Tüten hoch und gehe abends noch zum Strand. Schon morgens beim Joggen hatte ich gesehen, dass das ägyptische Fernsehen dort aufbaute, jetzt ist eine riesige Fläche an der Promenade abgesperrt, Security und Miltär.
Ich kaufe mir noch Brot, bin zur Tagesschau zurück und sehe im ersten einen Film über die Liebe, der mich zum Heulen bringt und mich auch beim Einschlafen nicht fröhlicher macht. Übrigens, die Klimaanlage funktioniert auch nicht mehr, sofort nach dem Einschalten ertönt wieder der Alarmton. Und vor dem Schlafengehen zähle ich bei mir noch 60 Mückenstiche!
Passamt
August 2007
Dienstag, der 27.August. Kurz vor 9 kommt Herr Osman, der Ehemann unserer Künstlerin Shirin, in die DFS – Abteilung und teilt mir mit, dass wir in 10 Minuten aufbrechen wollen, um mein Visum von 3 auf 6 Monate verlängern zu lassen. Wir – Osman, ein weiterer Begleiter, der Fahrer und ich fahren durch belebte Straßen der Außenbezirke, kommen auf die Corniche, der Straße am Meer, die mir jetzt schon vertraut ist, am Hotel Cecil am Zaad al Zoghul vorbei, und halten vor einem ehrwürdigen von Polizei bewachtem Gebäude an. Wir müssen zwei Treppen hoch, im Stockwerk befinden sich 18 Schalter, hinter denen überwiegend Beamtinnen sitzen. Wir müssen zum Schalter für Ausländer. Ich soll auf der Bank Platz nehmen, während Herr Osman am Schalter hinter der Scheibe steht. Neben mir sitzt eine schwitzende Griechin mittleren Alters, die sich mit ihrem roten EU-Pass frische Luft zufächert. Als die Beamtin mit strenger Miene meinen Pass und unser von Herrn Osman vorgetragenes Anliegen prüft, schickt sie uns mit dem Hinweis zurück, dass ein Passbild fehle. Also gehen wir wieder zwei Treppen runter, auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat ein Photograph seinen einträglichen Standort gefunden, ich werde digital abgelichtet, und die Zeit bis zum Druck der Passfotos verbringen wir an einer zugigen Ecke in einem Café bei einem Kaffee Mazbut.
Dort stellen Osman und ich fest, dass wir uns doch unterhalten können, unsere gemeinsame Sprache ist französisch, bei beiden etwas holprig, aber durchaus kommunikationsfähig. Es fallen auch ein paar Brocken italienisch, denn Shirin, Osmans Frau, ist mütterlicherseits Italienerin.
Als die Passfotos gebracht werden, geht es wieder zwei Treppen hoch in die Hitze des Behördensaales. Ich nehme wieder auf der Bank neben der noch immer dort sitzenden und schwitzenden Griechin Platz, Herr Osman regelt die Formalitäten.
Dann werde auch ich an den Schalter gebeten, die Beamtin vergleicht mich mit dem Passbild und den Daten des Passen, ich muss unterschreiben, Herr Osman muss noch einige Gebührenmarken kaufen, die auf das Antragsformular geklebt werden, ich bekomme meinem Pass zurück und schaue stolz auf den Visumsstempel. Es ist meine Aufenthaltserlaubnis bis März 2008, aber nur als Tourist, wie man mir später erklärt, das Visum als „Resident“ mit entsprechender Arbeitserlaubnis könne erst nach einem halben Jahr ausgestellt werden.
Wir fahren wieder zurück, allerdings muss ich an diesem Tag meine erste Arabisch-Stunde bei Herrn Salah sausen lassen. Er wartet auf mich vergeblich zum verabredeten Zeitpunkt in der Bibliothek, erst nach meiner Rückkehr kann ich ihn auf dem Handy informieren.
Die zweite Schulwoche
September 2007
Heute, am Sonntag hat für mich die zweite Schulwoche begonnen. Es war die erste Nacht ohne Handy, denn gestern Abend, als endlich der AC-Monteur kam, lag mein Handy neben dem Computer, ich hatte Bilder übergespielt, auf einmal leuchtete das Handy auf, und dann tat sich nichts mehr. Inschallah! Ich wollte noch nach D simsen, abermein Kontakt wartete vergeblich, machte sich Sorgen.
Jedenfalls stehe ich um halb 6 Uhr (es ist noch stockdunkel) auf, und jogge. Am Strand springe ich über den Zaun, keiner hält mich zurück, und nehme ein Bad in den Wellen des Mittelmeeres. Oh, ist das schön!
Die Luft ist viel kälter als das Wasser, es ist fast wie eine warme Badewanne. Aber ich bin alleine, neben mir sind nicht Tausende am oder im Wasser. Dann jogge ich zurück, mache mir ein kräftiges Frühstück (Eier, Wurst, Tomaten und Paprika in der Pfanne gebraten), trinke zwei Tassen Tee und gehe hinaus zur Straßenecke, aber mein Fahrer kommt nicht. Um 20 vor nehme ich mir ein Taxi, lotse es zur Future School (dazu reicht mein Arabisch bereits), Ehsan kommt auch, ich schildere ihr mein Handy –Problem. Es kommt auch eine mail von Herrn Schröder, dem Fachberater der ZfA aus Kairo, er kündigt die Fortbildungen für das nächste Halbjahr an, eine in Palästina in den autonomen Gebieten, eine in Kairo, weitere seien geplant.
Dann kommt meine Einführung in der deutschen Abteilung durch Herrn Nabil, auch ich richte einige Worte an die Kollegen.
Endlich komme ich dazu, mir Ehsans Handy zu leihen, um eine Message los zu werden.
Dann beginnt Routinearbeit, Gespräche mit Kollegen, mit Dr. Susan, der neuen Leiterin der amerikanischen Abteilung, Bestellung von Lernmaterial, Schriftverkehr, in null komma nichts ist es drei und wir verlassen die Schule.
Zuhause mache ich mir Spaghetti mit Gemüsesauce, ich bin richtig hungrig, dann schlafe ich erst einmal. Ich bin ganz schön geschafft!
Mein Handwerker, der um 5 Uhr hier sein will, kommt natürlich nicht.
So, ich werde jetzt aufbrechen, um zu einem Handyladen zu gehen, und dann ins Internetcafé, denn mein Festnetz läuft ja auch noch nicht!
Um 5 will der Handwerker kommen, um halb sieben gehe ich aus dem Haus. Unten im Eingang kommt mir Amir entgegen, einer der Handwerker, ein koptischer Christ und deshalb mein Bruder. Er sagte, der AC-Spezialist wolle auch gleich kommen. Ich zeige ihm mein Handy, er nimmt es in die Hand, gibt es mir wieder, und ich versuche es noch einmal – und……es geht! Keine Speicherung ist verloren, alles läuft wie vorher! Ein Wunder? In dieser Gegend sind ja schon früher viele passiert!
Ich trinke mit Amir einen Tee, während wir auf den Spezialisten warteten. Amir ist mein Freund, betont er immer wieder, er will alles für mich tun, mit mir trinken, Schweinefleisch essen, die christlichen Klöster besuchen, ich soll bei ihm Weihnachten feiern, na ja, ob ich das alles will?
Endlich kommt auch der Spezialist, er schafft es sogar, die AC in Ordnung zu bringen! Was für ein Tag!
Das mit dem Handy hält genau 36 Stunden. Ala ich am Dienstag in der Schule im Telefonverzeichnis eine Nummer suche, sind alle Tasten wieder gesperrt. Ich sehe zwar, dass mich Mr. Mohammed, der Hausbesitzer anruft, aber ich kann das Gespräch nicht entgegennehmen. Ich weiß. Was er will, es geht um meinen Festnetz- und DSL- Anschluss. Ich wate auf die Leute der ägyptischen Telekom, die seit Tagen kommen wollen und eine Cleararence beim Anschluss durchführen müssen. Ich gehe runter zu Sidi, dem netten Concierge, will mir sein Handy leihen und Mr. Mohammed zurückrufen, aber die Verständigung ist ach so schwer, Er steht mit Freunden vor dem Nachbarhaus, alle wollen mir helfen, nehmen mein Handy auseinander, bis sie merken, dass ich nur meine Karte in ihr Handy stecken will, um Mr. Mohammed anzurufen. Es klappt, er, der ein äußerst ehrenwerter Mann ist, will am nächsten Tag sich beim Mudur (so was wie ich, Direktor) der Telekom beschweren. Ich verbringe jetzt seit Tagen meine Nachmittage mit dem Warten auf Handwerker. „Normal“, sagt mir Ehsan in der Schule, ich müsse mehr Geduld zeigen, ich sei in Ägypten. Aber ich habe die Nase voll, winke das nächste Taxi herbei und fahre zu Fathallah, dort soll ein Handyladen sein. Der Verkäufer kann mit dem Problem genauso wenig anfangen wie alle anderen, und da ich nicht ein neues Wunder erwarte, kaufe ich mir das billigste Nokia, für 260 L.e., entspricht 35 €. Wenigstens funktioniert es, aber es hat nicht den Bedienungskomforts des mir zum Geburtstag geschenkten Samsung. Um die Handy Geschichte abzuschließen: Ich stecke meine deutsche Karte ins defekte Handy, warte auf ein neues Wunder. Es passiert am Donnerstagmittag: Ich probiere noch mal, die Tasten zu bedienen, und ich kann die Pinzahl eingeben. Das zweite Wunder, aber ich wüsste lieber warum. Auch die Sache mit meinem Festnetz regelt sich. Mr. Mohammed nimmt Kontakt zu Sidi, dem Concierge auf, als ich am Donnerstagnachmittag von der Schule komme, steht der Anschluss. Überglücklich bestätige ich es Mr. Mohammed, er will mir den Rooter für den WWW.access bringen, aber vorher anrufen. Ich schicke einige SMS, um meine Festnetznummer in der Welt zu verbreiten, mache einige Testanrufe und von und zum Telefon und bin einfach glücklich. In meiner guten Laune beschließe ich nach Abu Quir zu fahren, es liegt östlich von Mamoura, das Sammeltaxi kostet 50 Piaster für die 10 km lange Strecke. In meinem ansonsten sehr aktuellem Reiseführer steht etwas über ein Fischerdorf und Badeort, aber es ist eine Stadt mit ungezügeltem Hochhausbau bis an den Strand. Aber es gibt das „wohl beste ägyptische Fischrestaurant, das Zephyrion, ich finde sofort und trte ohne Scheu ein. Es stehen ziemlich dicke Autos auf dem Parkplatz, die Menschen, die dort sitzen, sehen sehr elegant aus, und die Berge von Shrimps, Calamares, gegrillten und bebackenem Fisch einschließlich vieler Beilagen machen mir Lust. Man weist mir einen Platz direkt am Wasser zu, vor mir viele Badende, nicht so viele Sonnenschirme wie in Mamoura, aber ein romantischer Blick gegen die Abendsonne, vor der Marrkisen Schutz bieten. Unendlich viele Kellner sind gleich um mich bemüht, ich werde nach hinten gebeten, um mir meinen Fisch auszusuchen, Ich wähle ca. 300 g Shrimps, die ich gegrillt essen will, gefritete Calamari, Venusmuscheln und zwei Scheiben eines Mittelmeerfisches, gebacken. Ich setze mir als Limit 100 L:e., ich lasse mir alles zusammen rechnen. Als ich zurück komme, stehen bereits Salat, Vorspeisen, Brot und Wasser auf dem Tisch. Nach und nach werden die anderen Fischgerichte gebracht, ich lasse es mir schmecken, an anderen Tischen wird Bier getrunken (offensichtlich hat der Wirt eine Lizenz für Alkoholausschank), aber ich beweise Stärke und verzichte auch den 16. Tag auf Alkohol. Ich lasse mir ganz viel Zeit, praktiziere mit einem der Kellner mein Arabisch, bezahle meine Rechnung (mit Trinkgeld 100 L.e.), trinke noch gawa mazbut (Kaffee, gesüßt auf den Punkt) und Tee und lasse die Sonne im Meer versinken. Es wird sofort dunkel, Ich gehe zum Midan, von dem die Sammeltaxis fahren, und steige vorne ein. Ich bewundere diese Fahrer! Sie fahren ihr Auto (ohne Licht), sie achten auf den Verkehr, sie schauen nach Fahrgästen, die mitgenommen werden wollen, sie kassieren und können die abgegriffenen Geldscheine, die sie die ganze Zeit in der Hand halten, in der Dunkelheit auf ihren Wert abtasten, sie geben Wechselgeld heraus, sie wissen, wo ihre Fahrgäste aussteigen wollen, sie rauchen Kette und und führen nach hinten eine entspannte Unterhaltung. Ich habe zwar das starke Bedürfnis mich anzuschnallen, aber die Möglichkeit findet sich nicht im Sameltaxi. Die Schiebetür bleibt wegen der besseren Durchlüftung die meiste Zeit offen, herausfallen könnte man, muss man aber nicht. Gegen halb neun bin ich zurück , setze mich auf den Balkon und sehe Tagesthemen. „Merkel überall“ beherrscht wieder die Topmeldungen, dann schlafe ich ein, Ich hoffe zwar, dass mich jemand auf dem Festnetz anruft, tut aber keiner. Na ja, so bleib ich einsam.
Und was war sonst diese Woche? Schule wird Routine. Neubaubesichtigung, Briefe, Small-Talk, Verabredung zum Arabisch-Unterricht, Gespräche mit Herrn Nabil und e-mails checken und schreiben im PC-Raum, angenehm, weil in beiden Räumen Air Condition ist.
Es ist Wochenende, und es ist wie ein Stück Urlaub.
September 2007
Bericht an eine Grundschule in Neu Wulmstorf/Niederschsen
Am 16. Juli 2007 haben Frau Kracht, Schulleiterin der Grundschule am Moor, und Herr Nabil Abdel Aziz, der Direktor der Future Schulen in Alexandria / Ägypten, eine Vereinbarung über die Kooperation beider Schulen unterzeichnet. Das bedeutet, dass diese Schulen zusammenarbeiten und sich gegenseitig über ihr Schulleben informieren wollen.
Ich will jedoch erst einmal die Future Schulen vorstellen: Es sind Privatschulen, deren Besuch für die Eltern das Schulgeld, das sie bezahlen müssen, wert ist.. Dafür bieten diese Schulen dann aber auch mehr als öffentliche Schulen. In den Future Schulen können die Kinder schon sehr früh Fremdsprachen erlernen, deshalb war der Name bei der Gründung auch „Future Language School“. Das bedeutet, dass man hier für Zukunft Sprachen lernen kann. Die Schule ist in mehrere selbständige Abteilungen untergliedert:
- Eine ägyptische nationale Abteilung. Hier sind Kinder von der Spielgruppe (ca. 3 Jahre) bis zum ägyptischen Abitur (ca. 17 Jahre). Besonderer Wert wird auf die Erteilung von Fremdsprachen gelegt. So findet der tägliche Unterricht bis auf Arabisch und den anderen Fremdsprachen auf Englisch statt. So kann man hier auch ein deutsches Sprachdiplom erwerben. Die Prüfung wird dabei von Lehrern des entsprechenden Landes abgenommen. Der Unterricht in den Naturwissenschaften und Mathematik wird auf Englisch erteilt. Schulische Anweisungen sind immer in Englisch, ebenso wie die Gespräche zwischen Lehren und Schülern.
- Die Future American School (FAS). Sie beginnt auch hier mit vier Jahren. Schon im Kindergarten wird nur Englisch gesprochen. Mit ca. 17 Jahren beenden die Schüler die FAS mit dem American Diploma. Man kann mit diesen Abschlüssen an Universitäten und Colleges beider Länder studieren.
- Die englische Future Schule. Hierher können die Schüler schon in die erste Klasse wechseln, wenn sie neben dem arabischen den englischen Abschluss anstreben. Für diesen werden nämlich andere Anforderungen gestellt als für den amerikanischen Abschluss.
- Die Deutsche Future Schule (DFS). Dies ist das jüngste Kind der Future Schulen. Der Start erfolgte im September 2006 mit einer Spielgruppe (bis 4 Jahre), einem Kindergarten (4 bis 5 Jahre), einer Vorschule (5 bis 6 Jahre) und danach einer 1. Klasse. In diesem Schuljahr, welches am 8. September feierlich eröffnet wird, wird es noch eine 2. und 3. Klasse geben. Da es viele Anmeldungen gibt, wird die Schule schnell wachsen.
Ich bin seit dem 12. August offiziell für die Deutsche Future Schule als Lehrer und als Leiter tätig. Neben mir unterrichten an der Schule noch fünf Kollegen, die alle aus Deutschland kommen. Im Gegensatz zu mir können aber einige Arabisch, weil sie schon lange hier leben bzw. als Kind mit zwei Sprachen aufgewachsen sind. Die Kinder sprechen von der Spielgruppe an im Unterricht nur Deutsch, damit sie zur 1. Klasse dem Unterricht auf Deutsch gut folgen können. Allerdings müssen von der Vorschule an – weil wir hier in Ägypten sind – alle auch Arabisch lesen und schreiben lernen. Das ist ziemlich anders, denn man schreibt und liest von rechts nach links! Auch die Zahlen sehen anders aus. Aber darüber werde ich später noch einmal berichten.
Die Kinder müssen alle Schuluniform tragen, damit keins bessere oder schlechtere Kleidung trägt und deshalb benachteiligt wird. Diese wird von der Schule gestellt, muss aber von den Eltern extra bezahlt werden.. Die Schulbücher sind die gleichen wie in Deutschland, nur für Arabisch gibt es Extra-Bücher. Sie müssen alle von den Eltern der Schüler gekauft und für den täglichen Gebrauch eingeschlagen werden.
Sportunterricht ist hier etwas sehr Schönes. Bis jetzt haben wir zwar keine Turnhalle, aber sämtliche Sportanlagen sind in der Planung. Dafür haben wir einen Swimmingpool auf unserem Gelände, dort erteilen wir unseren Schwimmunterricht!
Soweit mein erster Bericht aus Alexandria. In der nächsten Ausgabe erzähle ich euch etwas über das Land Ägypten und die Stadt Alexandria!
Alexandria
September 2007
Heute kommt mein neuer monatlicher Bericht aus Alexandria in Ägypten zu euch!
Unser Schuljahr hat am 8. September mit dem Einzug in ein neues Gebäude begonnen. Wir haben ein wirklich tolles Schulhaus mit einem großen Schulhof, auf dem wir in den Pausen spielen können , bekommen!
Der Unterricht fängt schon morgens um halb 8 an. Die meisten Kinder kommen mit dem Schulbus, einige werden auch von ihren Eltern gebracht. Der Schultag beginnt mit einem so genannten Fahnenappell, der an allen ägyptischen Schulen Pflicht ist. Dazu stellen sich alle Schüler draußen vor der ägyptischen Flagge auf, und dann wird auf arabisch die Nationalhymne gesungen. Dann beginnt der Unterricht. Nach jeweils zwei Stunden sind Pausen, dann haben alle die Gelegenheit zum Frühstücken und hinterher zum Spielen.
Ab 13 Uhr ist Hausaufgabenzeit. Dann machen die Kinder bis 14.30 Uhr unter Aufsicht ihre Hausaufgaben. Wer schon fertig ist, bekommt in dieser Zeit Sonderaufgaben.
Übrigens hat jedes Kind in der Klasse seinen eigenen Tisch. Allerdings kann man diese auch sehr schnell zu Gruppentischen zusammen stellen, wenn es für den Unterricht günstiger ist.
Soweit kurze Informationen über unseren Unterricht.
Heute will ich euch jedoch etwas über Ägypten und die Stadt Alexandria erzählen.
Ägypten gehört zu den ältesten Kulturvölkern der Erde. Alle haben sicher schon über Pharaonen, die Pyramiden, Hieroglyphen und Mumien gehört. Aber das ist ja schon alles einige Tausend Jahre her.
Später, 331 v.Chr., haben die Griechen Ägypten erobert. Ihr junger König Iskender oder Alexander (später „der Große“ genannt) hielt einen Platz am Mittelmeer westlich der Nilmündung für günstig, dort eine Hafenstadt zu bauen, die nach seinem Namen benannt wurde. Alexandria wuchs schnell zu einem Handelszentrum des östlichen Mittelmeeres heran und galt als reichste Stadt der Welt. Außerdem zog es auch eine Vielzahl von Wissenschaftlern nach Alexandria, weil sie dort an den Universitäten die besten Arbeitsbedingungen fanden und hier die berühmteste Bibliothek des Altertums stand. Diese wurde später leider durch einen Brand vernichtet. Auch eines der 7 Weltwunder der Antike, der „Leuchtturm von Pharos“ stand an der Hafeneinfahrt, er wurde aber durch ein Erdbeben zerstört.
Kurz vor Christi Geburt eroberten die Römer unter ihrem Feldherrn Cäsar Ägypten und die damals wichtigste Stadt Alexandria. Cäsar selbst und seine Nachfolger sollen sich mit der wunderschönen Königin von Ägypten, Kleopatra, vergnügt haben.
Später verlor die Stadt an Bedeutung, die Einwohnerzahl ging von Hunderttausenden zurück auf die Größe einer Kleinstadt. Als Napoleon, der spätere französische Kaiser, 1798 die Stadt eroberte, gab es nur noch 5000 Einwohner. 1801 vertrieben die Engländer die Franzosen, mit denen sie im Krieg lagen.
Danach wuchs Alexandria wieder zu einer Weltstadt heran. Dazu trug besonders der Hafen bei, über den die meisten Waren von und nach Ägypten transportier wurden.
Heute leben in Alexandria ca. 5 Mio. Einwohner, im Sommer noch mehr, weil viele Menschen in den Ferien wegen der Hitze aus der Hauptstadt Kairo an die luftige Küste des Mittelmeeres fliehen.
In ganz Ägypten leben heute fast 80 Millionen Einwohner, ebenso viele wie in Deutschland. Dabei ist – anders als in Deutschland – 1/3 der Bevölkerung jünger als 14 Jahre! Allerdings ist die Fläche Ägyptens dreimal so groß wie die Deutschlands.
Die meisten Menschen in Ägypten leben von der Landwirtschaft. Der Nil liefert das Wasser für die Bewässerung, und weil das Klima so günstig ist, sind auf den Feldern mehrere Ernten möglich. Aber immer mehr Menschen leben vom Tourismus. Ägypten zieht Urlauber, z.B. aus Europa, nicht nur wegen der Pyramiden an, sondern auch wegen Sonne, Meer und seiner tollen Hotels!
Es gibt aber auch immer mehr Industrie. Sehr viel Kleidung wird hier hergestellt, und Ägypten ist der größte Autohersteller in Afrika.

Bericht von den Pyramiden
Wie im letzten Bericht versprochen will ich euch heute über einen Besuch bei den Pyramiden von Giza berichten.
Bei diesen Pyramiden handelt es sich um das einzige noch heute erhaltene Exemplar der 7 Weltwunder des Altertums. Sie gelten als das Symbol für Ägypten schlechthin.
Sieht man Bilder von den Pyramiden, könnte man denken, sie liegen mitten in der Wüste weit weg von allen menschlichen Ansiedelungen. Weit gefehlt. In Wirklichkeit liegen sie fast mitten in der Stadt in Kairo, bzw. der zu Groß-Kairo gehörigen Stadt Giza.
Vom Zentrum Kairos braucht man mit dem Taxi bei fließendem Verkehr (den es in Kairo höchstens am Freitagmorgen gibt, weil dieses der moslemische Sonntag und somit arbeitsfrei ist) höchstens zwanzig Minuten.
Schon von weitem sieht man diese imposanten Bauwerke. Natürlich ist das Gebiet um die Pyramiden abgeriegelt, denn man will ja von den Millionen Besuchern, die jedes Jahr kommen, die Eintrittsgelder kassieren. Ägypter
zahlen 5 Pfund (das ist der Name des ägyptischen Geldes) Eintritt, Touristen 50 Pfund. 1 Pfund sind ungefähr 13 c. Dieser Unterschied ist sehr gut zu verstehen, denn Ägypter verdienen einfach so wenig, dass sich die meisten sonst diesen Besuch überhaupt nicht leisten könnten. Nach umfangreiche Personen- und Taschenkontrollen geht man noch ca. 100 m weiter, und dann steht man vor ihr: Dem mächtigsten Bauwerk des Altertums, über 5000 Jahre alt, ehemals 147 m hoch (weil die Spitze fehlt, jetzt nur noch 137m), errichtet von dem Pharao Cheops, damit sie ihm nach seinem Tode als Grabkammer diene. Es ist ein majestätischer Anblick, aber die Lust, hinaufzuklettern, muss man unterdrücken, das ist seit vielen Jahren verboten, weil es zu gefährlich ist. Man kann die Grabkammer dieses mächtigen Königs besuchen, allerdings muss man sich früh genug anstellen, denn es werden pro Tag nur 150 Personen hereingelassen, weil sonst die Belastung für das Bauwerk durch die Atemluft der Besucher zu groß wäre. Allerdings kostet der Besuch der Grabkammer noch einmal 100 Pfund extra.Ca. 150 m vom Fuß der Cheops-Pyramide entfernt befindet die Chephren-Pyramide. Er war der Sohn des Cheops, und um das hohe Ansehen seines verstorbenen Vaters nicht zu gefährden, baute er seine Pyramide etwas niedriger, nämlich nur 143,5 m hoch. Auch hier ist seine Grabkammer für Besucher zugänglich, ihr Besuch kostet zwar nur 25 Pfund Eintritt, allerdings hat sie auch nicht die Größe und Pracht der Grabkammer des Cheops. Kreislaufschwache und gehbehinderte Besucher sollten auf den Besuch der Grabkammern verzichten, denn die Luft enthält weniger Sauerstoff, und die Grabkammern erreicht man zum Teil nur kriechend!Spätestens hier geht man den Kamelvermietern auf den Leim. Sie haben alle Tricks drauf, den Touristen für ein Foto auf einem Kamel oder einem Kamelritt um die Pyramiden weitere Pfund aus der Tasche zu ziehen. Aber es ist trotz der überhöhten Preise ein beeindruckendes Erlebnis, wenn man auf einem Kamel runter zur Sphinx reitet. Keiner weiß übrigens, ob es sich um „die Sphinx“ oder „den Sphinx“ handelt. Sphinx ist auf jeden Fall die bedeutende, 200 m lange Figur eines Pharaokopfes auf einem Löwenkörper. Sie ist das beliebteste Fotoobjekt der meisten Besucher. Am Abend wird Sphinx und die Pyramiden in farbiges Scheinwerferlicht getaucht, und vor der Statue mit den Pyramiden im Hintergrund finden regelmäßig Musikveranstaltungen statt.
Erholen kann man sich am Ausgang bei Pizza-Hut oder Kentucky Fried Chicken, dort kriegt man zu einem ehrlichen Preis neben dem Essen noch einmal den kompletten Pyramidenblick!
Alexandria, November 2007

Auszug aus einem Briefwechsel mit Hermann Krüger, Schulleiter meiner alten Schule in Hamburg
Lieber Hermann,
danke für deine ausführliche e-mail.
Jetzt weiß ich wieder Bescheid, was an der Bunatwiete anliegt!
Das mit meinen Schülern macht mir gewisse Sorgen. Aber ich habe auch von anderen Seiten gehört, dass die Schüler unendlich unter der Lehrerin leiden. Trotz aller Strenge Menschlichkeit zu zeigen, das fällt wohl manchen Kollegen schwer. Ich wünsche ihnen jedenfalls, dass sie ihren Schulabschluss schaffen und dass sie trotzdem noch schöne Erinnerungen aus der Schulzeit mit nach Hause nehmen. Dina hat ja vielleicht Lust, ab Januar nächsten Jahres bei mir ein Praktikum zu machen, ich würde sie auch gerne nehmen.
Für mich ist heute Feiertag, Freitag, aber ich bin total genervt. Seit einer Woche geht meine Internetverbindung nicht, mein Wohnungsbesitzer kümmert sich nicht, wie es seine Pflicht wäre, ich tobe also jeden Abend mit meinem Laptop ins Internetcafé. Außerdem geht meine Gasversorgung nicht, ich kann also nicht kochen, was mich normalerweise wieder runterfährt.
Jetzt bin ich an den Strand gegangen, hab meinen Laptop mitgenommen, aber die Batterie wird wohl gleich leer sein. Ich beschäftige zur Zeit zwei Männer mit der Herstellung der elektrischen Verbindung, durch eine abenteuerliche Kabelverbindung ist es ihnen in diesem Moment gelungen. Er hat eine Verbindung von der Lampe gezogen und die blanken Kabelenden über meinen Stecker gestülpt, hoffentlich geht keines der hier spielenden Kinder ran. Ich bin hier Mitglied im Beach Club des Paradise Inns, ein schönen Hotels 5 Minuten von hier entfernt. Hier habe ich für die ganze Saison bis Ende Mai 200 Euro bezahlt, kann das Fitness-Center besuchen und alle Hotel-Facilities nutzen einschließlich Pool, Beach und Show (es tanzen jeden Abend zur Zeit ein russisches Zwillingspaar, hab sie aber noch nicht kennengelernt).
Während bei euch übermorgen der 1. Advent ist, kann man hier noch gut baden, obwohl es abends doch so kühl ist, dass ich eine Jacke anziehe und gelegentlich die Heizung anstelle.
Meine Schule läuft gut, irgendwie ist es doch eine Tätigkeit, die ich mir immer vorgestellt habe. „Schulentwicklung“, Konzepte und „Roadmaps“ entwerfen, anderen präsentieren und dann gemeinsam zu guten und meist schnell umgesetzten Lösungen zu kommen, das ist hier meine Sache. Auch Personalführung gefällt mir, meine Kolleginnen akzeptieren und respektieren mich und sind bereit, an einem Strang zu ziehen. Es ist ihr Arbeitsplatz, und sie freuen sich über Fortschritte. Ich bin dabei, alle Kollegen zu hospitieren, Danas Beurteilungsbogen, den sie mir gemailt und den ich nur wenig variiert habe, hilft mir dabei. Grüße sie bitte ganz herzlich von mir! Und bitte auch Faga, ich wünschte mir hier eine Koordinatorin wie sie, die eigenständig und planungssicher etwas aufbaut und mit vollem Einsatz gestaltet. Nimm sie mal ein wenig in Schutz, wenn sie von irgendwelchen Hohlköpfen „über 55“ gemobbt wird. Sage ihr, dass sie sonst nach Ägypten umziehen soll!
Mit Evelyn hat das Gespräch wohl am Sonntag stattgefunden, hat es denn irgendetwas ergeben? Von G. hörte ich, dass dieser Englischunterricht ihre ganze Klasse durcheinander gebracht hätte. Aber wie und wo will man eine „verdiente Kraft“ beschäftigen, die ihr Recht auf Arbeit hat.
Ich mit meiner Miniklasse kann und will mich nicht beklagen. Wir hatten vorgestern Elterngespräche, die Eltern hier sind es gewohnt „danke“ zu sein. Unsere Schule – besonders die deutsche Abteilung – hat einen sehr guten Ruf und ist stark nachgefragt.
Was ich Weihnachten mache, weiß ich noch nicht, irgendwie ist meine private Planung durcheinander. Aber ich habe diese Entfernung selbst gewählt, kann jetzt hier im T-shirt am Meer sitzen aber die Sehnsucht nach Menschen, die man mag und die man in vielen Momenten gerne um sich hätte, bleibt unerfüllt, und die Wahrscheinlichkeit, dass ich irgendwann ganz alleine bleibe, ist groß. Vor mir taucht ein riesiges Kreuzfahrtschiff auf, Alexandria ist ein begehrter Hafen. Vorletzte Woche war ich zum Empfang auf einer amerikanischen Fregatte eingeladen, auch eine deutsches Schiff gehörte zu dem Verband, der im Roten Meer und im Indischen Ozean operiert hatte. War interessant, gab Rotwein und Bier und alles, was die amerikanische Küche hervorzaubert. Besser war letzte Woche das Menue in der Deutschen Botschaft in Kairo, es gab vorher eine Einladung zu einem Konzert in die Oper, das von der Deutschen Welle aufgezeichnet wurde, unter dem Motto „Beethoven meets Nile“. Ist immer ganz nette Abwechslung, und erweitert sein Netzwerk. Andererseits ist man nach solchen Kairo-Besuchen auch immer erst um 3 Uhr zu Hause, und morgens um 5.30 Uhr stehe ich wieder auf. In Kairo ist es ja noch wesentlich wärmer, da klettert das Thermomter doch noch auf 30° am Tag.
Ich bin ja Besitzer eines Fahrrades geworden, ist auch hier in meiner Wohngegend und im angrenzenden Montazah-Park total geeignet. Als ich einmal mit dem Rad zur Schule kam, rümpfte man die Nase, „ein Direktor müsse sein eigenes Auto haben und mit dem Fahrer kommen“, sagte man mir. Aber ganz soweit bin ich noch nicht.
Übernächste Woche werde ich von Sonntag bis Donnerstag in Kairo sein, Schulleitertagung und –Fortbildung Nahost. Da der organisierende Mann von der Fachberatung Kairo ein Bon-Vivant und Lebemann ist (übrigens ein total sympathischer, der einen unglaublich guten Job macht), ist das gepflegte Ambiente gesichert.
Ich will mal sehen, dass ich meine neuen Freunde hier zum Gänsebratenessen einladen werde,
so um den dritten Advent. Ich hoff, dass ich es hinkriege. Ja, ich sehne mich natürlich nach Weihnachtsfeiern in der Buna, sag Faga auch, dass ich das sehr vermisse, ich will sie mal wieder ein bisschen aufbauen.
Für dich freut mich ja, dass du eine gute Großvaterplanung angehen kannst, Zwillinge sind doch was!
Bei mir nebenan sitzen jetzt einige „Schwarze“, nein nicht was du denkst, Frauen, bis obenhin verhüllt. Man sieht doch relativ viele, neulich beim Einkaufen habe ich eine beobachtet, wie sie ihren Mann verprügelt hat. Und da soll es noch Menschen geben, die Sagen, Verschleierung sei ein Unterdrückungsinstrument des Mannes! Nichts wahr, die Frauen nutzen es, um unerkannt Straftaten begehen zu können!
Jetzt will ich noch eine Runde die Augen zumachen, (Mittagsruhe), das Rauschen der Brandung ist so einschläfernd.
Grüße alle, erzähle ihnen von mir und vergesst mich nicht – Besuch ist mir nach wie vor willkommen.
Alles Gute, nicht zu stressige Vorweihnachtszeit,
euer Klaus
Anmerkung: Hermann Krüger ist im Januar 2017 verstorben.
Religion in Ägypten
Alexandria Dezember 2007
Heute kommt mein monatlicher Bericht für Dezember aus Ägypten zu euch!
Zuerst will ich euch erzählen, dass seit dem 10. November unsere Schule einen neuen Namen hat. Wir heißen jetzt Neue Deutsche Schule Alexandria. Und das kam so: Wir hatten Besuch aus Deutschland, von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) in Köln. Das ist eine Behörde, die zum Bundesaußenministerium gehört und die die Aufsicht über deutsche Schulen im Ausland hat (davon gibt es über 100). Man begutachtete unsere Schule und lobte unsere Arbeit. Allerdings fand man, dass die Mischung zwischen Englisch und Deutsch im Namen „Deutsche Future Schule“ nicht passend sei. Deshalb schlug man uns vor, dass wir uns „Deutsche Schule Alexandria“ nennen. Da es aber schon seit mehr als 100 Jahren eine ganz bekannte Deutsche Schule in Alexandria gibt (die von einem katholischen Nonnenorden geleitete hoch angesehene Mädchenschule „Deutsche Schule der Borromäerinnen – DSB“), nannten wir uns Neue Deutsche Schule Alexandria. Vielleicht ist euch aufgefallen, dass unser Schullogo deshalb jetzt die drei Buchstaben DSA enthält.
Heute ist Freitag, und für mich ist Wochenende. Denn der „Sonntag“ in moslemischen Ländern ist der „Heilige Freitag“. Sicher habt ihr schon etwas vom „Freitagsgebet“ gehört, dann gehen noch mehr moslemische Männer in die Moschee als an den anderen Tagen. Ich habe bewusst „Männer“ geschrieben, denn obwohl die Frauen auch gläubige Muslima sind, gehen sie viel seltener in die Moschee, sie beten nicht wie die Männer in der Öffentlichkeit, sondern eher zurückgezogen zu Hause. Wenn von den zahlreichen Moscheen zum Gebet gerufen wird,, strömen viele Männer in die Moschee. Zum Gebet – oder überhaupt beim Betreten einer Moschee – zieht man sich die Schuhe aus. Beim Beten kniet man in Richtung Mekka, der heiligen Stadt der Muslime. Von Alexandria aus ist die Richtung Ost-Süd-Ost – diejenigen, die schon einmal auf einem Schiff waren, werden diese Himmelsrichtung verstehen. Man neigt dann immer wieder die Stirn auf den Boden und presst sie fest auf den Gebetsteppich. Zuerst habe ich mich hier in Ägypten immer gewundert, warum viele Männer einen dunklen Fleck auf der Stirn haben. Dann erklärte mir ein ägyptischer Freund die Ursache: Wenn man übe viele Jahre fünfmal am Tag betet und intensiv Druck auf einen Punkt der Stirn ausübt, entsteht „ein Druckfleck“, oft sogar Hornhaut. Es ist durchaus angesehen , einen solchen Fleck auf der Stirn zu haben, denn es ist ein Zeichen von Frömmigkeit.
Übrigens wird nicht nur in der Moschee gebetet. Zu den Gebetszeiten werden auf vielen Straßen große Teppiche entrollt, und dann vollziehen die Gläubigen ihre Gebete, während um sie der Verkehr, bestehend aus Autos und diesen entfliehenden Fußgängern, tost. Auch an den Arbeitsstellen gibt es Gebetsräume oder –ecken für die vielen Gläubigen unter den Mitarbeitern, z.B. auch an unserer Schule.
Ägypten ist ein islamisch geprägtes Land – obwohl es hier auch zahlreiche Christen gibt. Die genaue Zahl ist nicht bekannt, es sollen aber zwischen 12 und 18 % sein. Sie nennen sich „Kopten“, was ursprünglich „aus Ägypten“ bedeutete.
Ägypten war ein also zunächst ein christliches Land. Nach der Kreuzigung von Jesus Christus kam der Evangelist Marcus hierher und bekehrte viele Menschen zum Christentum. Im Laufe der Zeit wurde das ganze Land christlich. Es wurden in den Jahrhunderten nach Christi Geburt viele Klöster begründet und die Menschen hier waren fest in Ihrem Glauben. Nach der Entstehung des islamischen Glaubens durch den Propheten Mohammed um 600 n.Chr. traten viele Christen freiwillig zum Islam über, manche wurden sicher auch gezwungen oder taten es aus wirtschaftlichen Gründen. Aber in ganz vielen Gegenden, besonders in Oberägypten blieben die Menschen fest in ihrem christlichen Glauben, der sich bis heute in der ursprünglichen Form bewahrt hat. Das Christentum ist hier in Ägypten als offizielle Religion anerkannt. In der Regierung gibt es auch zwei christliche Minister. Trotzdem habe ich von Christen hier erfahren, dass sie mehr für ihre Rechte kämpfen müssen als die Mehrheit der Bevölkerung. Darüber nach Weihnachten mehr!
Alexandria, Dezember 2007
Die arabische Sprache
Oktober 2007
Heute kommen wieder Neuigkeiten aus Alexandria in Ägypten zu euch!
Ich will Euch etwas über die arabische Sprache erzählen, die von den Ägyptern gesprochen wird.
Arabisch ist die Amtssprache in folgenden Ländern Afrikas und Asiens:
Marokko, Algerien, Mauretanien, Tunesien Libyen, Sudan, Mali, Ägypten, Jordanien, Palästina, Libanon Jordanien, Saudi-Arabien, Jemen, Kuwait, Irak, Syrien und Vereinigte Arabische Emirate.
Allerdings wird in den einzelnen Ländern mit sehr viel Dialekt gesprochen, so dass z.B. ein Marokkaner von einem Syrer kaum verstanden wird. Es gibt jedoch das Hocharabisch. Das ist die Sprache, die im Koran, dem heiligen Buch der Muslime (das sind die Menschen, die der Religionsgemeinschaft des Islam angehören) geschrieben steht. Der Koran wird von gläubigen Moslem immer wieder gelesen, und deshalb verstehen die meisten Hocharabisch.
Auch das ägyptische Arabisch wird fast überall verstanden. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Filme, die in arabischen Ländern gezeigt werden, in Ägypten gedreht und synchronisiert werden. Die Menschen sind also durch das Sehen der Filme an den ägyptischen Dialekt gewöhnt.
Arabisch gehört zu den semitischen Sprachen. Semiten sind die Menschen, die schon seit vielen Tausend Jahren auf der Arabischen Halbinsel leben. Dazu gehören neben den Arabern auch die Juden. Die jüdische Sprache, das Hebräische, ist also mit dem Arabischen verwandt und hat viele Ähnlichkeiten.
Etwas Gemeinsames in der arabischen Sprache ist die Schrift. Die ist für jemanden wie mich, der Arabisch als Fremdsprache lernt, zunächst sehr schwer!
Erstmal muss man sich daran gewöhnen, dass von rechts nach links gelesen wird. Es gibt keine kleinen und großen Buchstaben sowie keine Schreib- und Druckschrift (das klingt leicht), dafür werden die Buchstaben immer anders geschrieben, je nachdem sie am Wortanfang, in der Mitte, am Ende oder alleine stehen. Außerdem sieht man unter oder über den Buchstaben oft Punkte Striche oder andere seltsame Zeichen. Das sind die Vokale a, e, i, o und u, für die es keine eigenen Buchstaben gibt.
Jemand, der die Schrift lernen will, muss auf Doppellinien immer ganz viele „Schönschreibübungen“ machen – ich wäre daran schon fast verzweifelt, wenn ich nicht so einen geduldigen Lehrer hätte!
Üben tue ich die das Lesen immer an Reklametafeln an der Straße: Ich weiß z.B., dass für Coca Cola Reklame gemacht wird, ich kenne also das Wort. Und dann entdecke ich die einzelnen Buchstaben und versuche sie mir einzuprägen! Aber ich bin noch lange nicht so weit, dass ich alleine einen ganzen Satz schreiben oder lesen kann. Jetzt verstehe ich, wie schwierig es für Kinder in der 1. und 2. Klasse ist, lesen und schreiben zu lernen.
Arabische Schrift benutzt man übrigens auch in den Ländern Iran und Afghanistan, obwohl die Sprachen völlig unterschiedlich sind.
Obwohl wir in Deutschland unsere Zahlen „Arabische Zahlen“ nennen, sehen in arabischen Ländern die Zahlen völlig anders aus. Die muss man ganz besonders schnell lernen, damit man beim Bezahlen nicht übers Ohr gehauen wird, was mir manchmal in Restaurants passiert ist.
Ich schreibe euch einmal links die deutschen Ziffern (unsere „Arabischen Zahlen“) auf, daneben das Wort mit lateinischen Buchstaben geschrieben, man sagt dazu Transkription) und rechts die heute gebräuchlichen arabischen Ziffern, die einem hier in Ägypten begegnen.
0 sifir ۰
1 wähid ١
2 idnin ٢
3 taläta ٣
4 arbaa ٤
5 chamsi ٥
6 sitta ٦
7 sabah ٧
8 tamaniya ٨
9 tissa ٩
Zahlen schreibt man im Arabischen genauso wie bei uns von links nach rechts! Zuerst wusste ich das nicht, da habe ich Telefonnummern genau umgekehrt gewählt.
Opferfest und Weihnachten
Dezember 2007
Heute ist der erste Tag unserer Weihnachtsferien. Aber , so richtige Weihnachtsferien sind es nicht, denn frei haben wir ab heute aus einem anderen Anlass. Man feiert hier jetzt vier Tage lang den großen Bayram, es wird auch das Opferfest genannt.
Dann kommen die „katholischen Weihnachten“, die hier allerdings keine Feiertage sind. Unsere Schule hat allerdings frei, weil gleich wieder hinterher das Wochenende kommt. Am 30.1. beginnt unsere Schule wieder. Neujahr ist bei uns leider überhaupt kein Feiertag, auch Sylvester müssen wir zur Schule. Aber am 6. und 7. Januar ist wieder offizieller Feiertag in Ägypten, es ist das koptische Weihnachtsfest. Die koptischen Christen gehören zu den orthodoxen Kirchen, die die Feiertage wie Weihnachten und Ostern nach dem Julianischen Kalender berechnen. Der hat auch etwas mit Alexandria zu tun, denn Julius Cäsar beauftragte ca. 50 v.Chr. den alexandrinischen Gelehrten Sosigenes mit der Berechnung eines verlässlichen Kalenders. Danach liegt Weihnachten auf dem 7. Januar. Später, im 16. Jahrhundert wurde in den meisten Ländern der ungenaue Julianische Kalender durch den vom Papst Gregor geschaffenen Gregorianischen Kalender abgelöst. Danach liegt Weihnachten auf dem 25.12.
Wir haben hier in Alexandria auch schon vor den Ferien Weihnachten gefeiert. Zunächst kam am 6. Dezember der Nikolaus. Der brachte allen Kindern ein kleines Paket, vorher aber las er aus dem Goldenen Buch vor, was die Engel über die Kinder aufgeschrieben hatten. Die Kinder – auch wenn sie Moslem sind – lieben den Nikolaus oder „Santa Claus“, wie er ganz amerikanisch genannt wird natürlich wegen der kleinen Geschenke.
Am 15.12. fand in der Kathedrale St. Katharina das traditionelle Weihnachtssingen mit dem Chor der Deutschen Schule der Borromäerinnen statt. Ca 150 Mädchen, aber auch einige Lehrer (wegen der tiefen Töne) sangen alle bekannten deutschen Weihnachtslieder. Bei dem Lied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ lief mir ein kalter Schauer den Rücken herunter, nie zuvor hatte ich soviel Feierlichkeit und Ehrfurcht bei einem Weihnachtssingen gespürt wie hier in dieser katholischen Kirche in Alexandrien.
Am Montag, den letzten Schultag, feierten wir unsere Weihnachtsfeier in der deutschen Abteilung unserer Schule. Jeder hatte etwas zu essen mitgebracht, und wir unterhielten uns, aber hier war es nicht so richtig weihnachtlich.
Das wurde es jedoch an diesem Abend: In einer kleinen Kapelle eines katholischen Altenheimes, das von den Nonnen des Borromäer-Ordens geführt wird, fand in deutscher Sprache ein ökumenischer Gottesdienst statt. Das bedeutet, dass hier in diesem Fall ein katholischer und ein protestantischer Geistlichen gemeinsam den Gottesdienst gestalteten.
Dies war fast wie ein Gottesdienst in Deutschland, und für über 60-jährige gab es sogar Geschenke, also auch für mich! Christstollen, Marzipan und Spekulatius!
Am nächsten Tag war dann der erste Tag des Opferfest. Es ist das höchste moslemische Fest, dauert 4 Tage und erinnert daran, dass Gott Abraham befohlen hat, ihm zu Gehorsam zu sein und seinen Sohn Isaak zu opfern. Aber gerade als Abraham das Messer ansetzte, um seinen Sohn als Zeichen seines Gehorsams zu Gott zu zu töten, zeigte ihm dieser hinter einem Strauch einen Widder, den er stattdessen opfern sollte. Diese Geschichte aus der Bibel ist auch Bestandteil des Korans, und sie hat im Islam eine wesentlich größere Bedeutung als im Juden- und Christentum.
Jede Familie, die es sich leisten kann, schlachtet nach dem Morgengebet nach einem bestimmten Ritual ein Tier, Ziege, Schaf oder Kuh. Einen dritten Teil bekommen ärmere Menschen, ein weiteres Drittel ist für die Verwandten und das letzte Drittel isst man selbst. In den Städten ist das Schlachten ein Problem, weil das Blut in den Boden fließen soll und nicht auf Asphalt. Die Reinigungskräfte müssen also so schnell wie möglich die Schlachtplätze wieder säubern.
Weihnachten war ich in Deutschland, mit Tannenbaum. Dieser Termin hat hier wenig Bedeutung, genauso wenig Sylvester und Neujahr. Die koptischen Christen feiern nach dem alten julianischen Kalender am 7.1. Das ist für alle Menschen in Ägypten Feiertag und schulfrei. Und dieses Jahr gibt es zwei Tage später schon wieder frei: Die Moslems feiern den Geburtstag ihre Propheten Mohammed!
Im Februar werde ich euch über einen Besuch bei den Pyramiden berichten!
Dezember 2007, Alexandria

Ausflug in die Wüste
Februar 2008
Heute schreibe ich meinen Bericht etwas verspätet, zu viele Dinge waren in den letzten Wochen hier zu tun.
Ende Januar hatten wir einige Tage frei, es waren die so genannten Halbjahresferien. Ich war in diesen Tagen einige Tage nach Hurghada ans Rote Meer gefahren, doch dort war ich nicht in Ägypten, sondern in einem exterritorialen Gebiet. Es ist die Gegend, wo die Wüste bis an das Meer reicht, wo es kein Süßwasser gibt, aber wo 360 Tage im Jahr die Sonne scheint und das Wasser nicht nur auch im Winter 20 ° hat, sondern auch bunte Korallenriffe mit ebenso bunten Fischen jeder Größe zum Tauchen und Schnorcheln einladen. Deshalb haben internationale Investoren seit ca. 1985 zwischen Wüste und Wasser riesige Hotelanlagen errichtet, eine Flughafenpiste wurde in die Wüste gebaut, eine Wasserleitung über viele Hundert Kilometer vom Nil gelegt, Palmen gepflanzt und Gärten angelegt, und jetzt kommen jedes Jahr Millionen Touristen in die Hotels, die meist all-inclusive Service bieten. Das Personal kam von alleine, denn Ägypten hat eine hohe Arbeitslosigkeit, und das Monatseinkommen in Ägypten beträgt meist weniger als 100 €, und davon wird oft noch eine ganze Familie ernährt. Es kamen sogar so viele Arbeitswillige, dass man heute als Ägypter ohne besondere Erlaubnis gar nicht in die Feriengebiete reisen darf.
Da die Kosten für das Personal sehr gering sind, ist auch der Urlaub für die Touristen, die vor allem aus Deutschland, Russland, Polen und Skandinavien kommen, nicht so teuer. So denken viele Menschen, die nur die Feriengebiete am Roten Meer kennen gelernt haben, so sei Ägypten – ist es aber in Wirklichkeit nicht. Die Feriengebiete am Roten Meer sind Hotels, Golf-Plätze, Geschäfte und Boutiquen, und die Händler dort versuchen ihre Waren mit allen Tricks, in allen Sprachen und zu völlig überhöhten Preisen an den Mann, die Frau oder das Kind zu bringen, so aufdringlich, dass man manchmal denkt, so seien alle Ägypter. In den Feriengebieten gibt es für ägyptische Verhältnisse auch ganz lose Sitten: So tragen die Touristinnen Mini-Bikinis am Strand, während die Ägypterinnen normalerweise nur mit Ganzkörperbekleidung ins Wasser gehen, zum Teil sogar verschleiert. Auch alkoholische Getränke fließen in den Hotels in Strömen, in ägyptischen Restaurants sucht man sie vergeblich.
Manchmal habe ich gedacht, was wohl der junge Mann, der für weniger als 3 € am Tag die Matten auf die Liegen legt, den Touristen die Liegen je nach Wunsch in den Schatten der Sonnenschirme oder direkt in die Sonne stellt und abends den Strand hakt, wenn er das Nichtstun der ausländischen Touristen betrachtet, die die Sonne, die er meidet, suchen. Er selbst muss von dem Geld, was er in der Hotelanlage verdient, vielleicht eine ganze Familie in Oberägypten ernähren.
Ich merkte nach einigen Tagen, dass dieser Hotelaufenthalt trotz aller Annehmlichkeiten nur begrenzten Erholungswert hatte und entfloh dem Paradies in die Wüste.
Dazu hatte mich ein Kollege, der Schulleiter der Borromäerinnenschule, eingeladen. Wir fuhren mit zwei mit GPS ausgerüsteten Geländewagen von Alexandria ca. 350 km in Richtung Südwesten, durch Geröllflächen mit in Millionen Jahren versteinerten Baumstämmen, durch bizarre Bergformationen, vorbei an wilden Kamelherden, bis wir mitten in dieser westlichen Sahara an einen großen See kamen. Es handelt sich um eine Senke, die 40 m unter dem Meeresspiegel liegt, und in die meist unterirdisch das Wasser läuft, z.B. bei Regenfällen – die gibt es auch in der Wüste! Um den See befinden sich viele Pflanzen, Spuren von Tieren, die den See als Tränke benutzen und unendlich viele Mücken, die uns in wenigen Minuten zerstochen.
Ein Höhepunkt dieser Wüstentour waren die Dünen. Unser Führer hatte ein Snowboard, hier besser ein Sandboard und einen dreirädrigen Buggy mit. Dies schleppten wir auf die Dünengipfel und ich versuchte mich mit dem Snowboard im Sand! Mehrere Stürze und ein verstauchtes linkes Handgelenk musste ich in Kauf nehmen – aber dann ging es ab – fast genauso schön wie im Schnee, aber mit dem Gefühl des Besonderen und der Einmaligkeit! Anschließend wurde mit vorher am See aufgesammelten Kameldung ein Feuer gemacht, auf dem das Teewasser in einem Kessel aufgesetzt wurde. Am Abend konnten wir in der untergehenden Sonne noch ein unglaubliches Farbenspiel beobachten – bis über der Wüste nur noch der Sternenhimmel lag, unterstützt vom Licht des halben Mondes. Unsere Fahrer fuhren mit Tempo 100 durch den Wüstensand, nur gelegentlich einen Blick auf das GPS werfend und brachten uns aus der nächtlichen Wüstenruhe heil zurück in das tosende Alexandria.
Alexandria, Februar 2008

Israel und Palästina – eine Fahrt ins Heilige Land
März 2008
Während meiner Tätigkeit für die Neue Deutsche Alexandria bekam ich eine Einladung zur Konferenz der deutschen Schulleiter der Region Nahost in Beit Jala, einem Nachbarort von Bethlehem.
Es liegt in der Westbank, 20 Autominuten von Jerusalem entfernt, so man denn die richtigen Papiere hat, um die zahlreichen Checkpoints auf dieser kurzen Strecke zu passieren. In Beit Jala wohnten und tagten wir in einer von der deutschen evangelischen Kirche getragenen und weitgehend vom deutschen Außenministerium unterstützten Schule. Die Eindrücke dieser vier Tage beinhalten die wohl intensivsten und dichtesten Erlebnisse meines bisherigen Lebens. Nie zuvor prallten geschichtliche, aktuelle politische, religiöse, ethnische und sehr persönliche Themen und Bereiche aufeinander, dass es nicht nur in der Nachbarschaft unserer Schule, sondern auch in meinem Herzen zu Explosionen kam. Hier mein Bericht.
Um 5 Uhr reißt mich der Wecker in meiner „Klosterzelle“ in der Schule der Borromäerinnen, in der ich in Kairo die Nacht verbracht habe, aus dem Schlaf, nach dem Frühstück verlassen wir – mein Kollege Frieder, seine Frau und ich – die Schule und fahren mit dem Taxi durch den morgendlichen Dunst, aber auf freien Straßen, zum Flughafen, von dem uns „Air Sinai“, eine eigens für die Verbindung nach Israel gegründete Fluggesellschaft, bringt. Wir sind eine Gruppe von zehn Schulleitern/innen, drei mitreisenden Partnerinnen sowie dem Attaché für Kultur der Deutschen Botschaft in Kairo.
Nach einem Katzensprung über das Nildelta, entlang der Sinaiküste einschließlich Gaza landen wir nach 55 Minuten auf dem Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv. Schon beim Anflug wähnen wir uns in einer anderen Welt. Breite Straßen, fließender Verkehr, Reihenhaussiedungen nach dem Zuschnitt deutscher Vorstädte, ein moderner Flughafen, schnelle Abfertigung. Nur an der Passkontrolle müssen wir immer wieder Fragen beantworten, nach Ziel und Grund unserer Einreise nach Israel, nach privaten und beruflichen Lebensumständen. Kein freundliches Lächeln zeigt sich im Gesicht der Beamtin, nur professionelle Kälte, aber sie erfüllt uns den Wunsch, die Pässe nicht zu stempeln, weil wir sonst nicht mehr in einige arabische Länder einreisen könnten.
Ein Bus erwartet uns, modern, intakt, ausreichend Beinfreiheit. Er hat ein israelisches Kennzeichen und soll uns nach Beit Jala bringen. Auf der breiten autobahnähnlichen Straße verfolge ich die dreisprachig (hebräisch, arabisch, lateinisch) geschriebenen Hinweisschilder, wir halten die Richtung Jerusalem. Ich fühle mich erinnert an Szenen aus dem Film „Liebesleben“ nach dem Roman von Zeruya Shalev, ich glaube die Stelle an der Straße wieder zu erkennen, an der Jara das Auto verlässt, um sich einige Hundert Meter weiter Ari, dem sie auf abgründige Art hörig ist, als Anhalterin anzubieten. Es versetzt mir einen Stich, weil meine Gedanken an einen Menschen, mit dem ich bei besserer Planung und früherer Information diese Reise im wahrsten Sinne hätte erleben können, gefangen sind, und dieses Buch und dieser Film und auch Israel waren ein Schlüssel dazu.
Erinnert fühle ich mich auch an die Toskana, die sanften Hügel, auf denen terrassenförmig Wein und Olivenbäume kultiviert werden, ganz anders als das nahe Ägypten, ein Gefühl von nicht weit entfernt liegender Heimat.
Schon nach 40 Minuten taucht vor uns Jerusalem auf, eine moderne Großstadt, 900 m hoch auf Hügeln gelegen, die „Stadt des Friedens“, wie die Übersetzung aus dem Hebräischen heißt. Wir umfahren die Stadt, können an den Häusern den Übergang vom westlichen zum östlichen Teil erkennen, und sehen sie immer wieder vor uns: Die 6 bis 8 m hohe Mauer, von den Israelis errichtet, die sie seit der zweiten Intifada in den 90-er Jahren immer weiter ausbauen. „Security Fence“ nennt Israel sie, sie soll den Waffenschmuggel unterbinden und palästinensische Selbstmordattentäter davon abhalten, nach Israel zu gelangen und dort Anschläge zu verüben. „Apartheid Wall“ sagen die Palästinenser, denn sie werden dadurch nicht nur ausgegrenzt, diskriminiert, eingeschränkt, die Mauer stiehlt vielen die Sonne, zerreißt ihr Land, zerstört Nachbarschaften, trennt Familien, nimmt ihnen Arbeitsplätze, verhindert den Verkauf ihrer Produkte, lässt keine Abkürzungen zu. Überall ist dieses inzwischen 704 km lange Bauwerk gegenwärtig, als Vergleich lassen die Palästinenser nur die Chinesische Mauer zu.
Wir passieren einen Checkpoint an der Mauer, brauchen nach einigen Worten unseres Fahrers mit der höchstens 18 – jährigen Soldatin, die ihr Schnellfeuergewehr locker an ihren Schultern hängen hat, nur unsere Pässe hochhalten, dann werden für uns die Reißzähne, die beim unerlaubten Passieren die Reifen zerstören sollen, im Boden versenkt.
Wir sind in der Westbank, dem „autonomen“ Palästinensergebiet, dass einer wirtschaftlichen und militärischen Kontrolle und Diktatur durch Israel unterliegt, dieses Land, das kein eigenes Land ist, das von Niemandem anerkannt wird, das die heiligsten Stätten dreier Religionen beherbergt, deren Menschen, egal ob Christen oder Moslem, rechtlos sind, der Willkür einer Besatzungsmacht ausgeliefert, aber im Focus der Welt, denn kein anderes Gebiet der Erde wird so genau von den internationalen Medien kontrolliert wie diese Region.
Wir fahren den Hügel zur Schule „Talitha Kumi“ hinauf, passieren ein Stahltor, von Kameras bewacht, das elektronisch geöffnet wird. „Talitha Kumi“ ist aramäisch und wird von dem Evangelisten Markus in der Erzählung über die Auferweckung der Tochter des Jairus erwähnt: „Und Jesus ergriff das Kind bei der Hand und sprach: Talitha Kumi! – das heißt: Mädchen, ich sage dir, steh auf!“ (Mk., 5,41).
Damit ist der Name Programm, denn „Talitha Kumi“ wurde bereits 1851 vom deutschen Diakoniewerk Kaiserwerth als Kinderheim für arabische Mädchen gegründet. Heute führt die Schule bis zum Abitur, hat einen berufsbildenden Zweig mit der Fachrichtung „Hotel und Tourismus“. 1975 hat das Berliner Missionswerk die Schulträgerschaft übernommen.
Wir sind im Gästehaus der Schule untergebracht, einfache, saubere Zimmer, ein wenig kalt (nachts sind die Märztemperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, diesen Winter hatte es bereits zwei „Schneekatastrophen“ gegeben.
Es empfängt uns Dr. Dürr, der Leiter der Schule, ein gütig aussehender, schlanker, hochgewachsener Mann in meinem Alter. Bei unserer ersten Zusammenkunft im Tagungsraum sagt er uns, dass nur die Tatsache, dass wir in der Nacht zuvor auf der Anreise waren, verhindert hat, dass das deutsche Außenministerium die Tagung abgesagt hätte. In der Nacht waren in einem Haus im Jeit Bala benachbarten Bethlehem drei Menschen von israelischen Soldaten liquidiert worden, einer von ihnen soll ein Hamas-Führer gewesen sein.
Zur Zeit sei die Beisetzung der drei Getöteten, anschließend würde auf dem Platz vor der Geburtskirche eine Kundgebung stattfinden. Es sei nicht sicher, dass wir – wie vorgesehen – am Nachmittag die Geburtskirche von Jesus Christus besuchen könnten. Wir waren betroffen, es sei Alltag, sagte Dr. Dürr, der hier seit einigen Jahren lebt.
Nach dem Essen, arabisch, mit vielen Vorspeisen kommt die Meldung, wir könnten es riskieren, nach Bethlehem hinein zu fahren. Es stehen drei Taxis bereit (moderne Mercedes-Limousinen), deren Fahrer sich sogar anschnallen, und dann geht in Richtung Geburtskirche. Wieder passieren wir Checkpoints, weil wir die Grenzen verschiedener Sicherheitszonen innerhalb des Palästinensergebietes queren müssen, von uns will man wieder keine Pässe sehen, der Fahrer jedoch wird intensiv kontrolliert.
Ich hatte über Bethlehem die Vorstellung von Krippenspielen, in meiner Phantasie hatte ich dem Ort einen dörflichen Charakter gegeben. Doch hier holte mich die Wirklichkeit ein. Moderne Hochhäuser, Hotels, Ladenstraßen (die allerdings heute wegen der Trauerfeier geschlossen blieben, steile Straßen auf die Hügel hinauf, keine Esel wie in Ägypten im Straßenbild, keine Pferdefuhrwerke, alles sauber und geordnet, aber alles im Schlaf des Streiks.
Vor uns liegt die Geburtskirche. Auf dem Platz gegenüber wird ein Zelt aufgebaut, Stühle für die Demonstration aufgestellt, palästinensische Polizei überwacht die Szene, israelische Soldaten lassen sich nicht blicken, sie werden erst wieder in der Nacht kommen.
Wir sind die einzigen Besucher. Der Eingang in die Kirche ist ein niedriger Durchgang. Wir werden von einem der Deutschlehrer der Schule „Talitha Kumi“ geführt, einem palästinensischen Christen. Er ist hier aufgewachsen, es ist sein Glauben, er ist authentisch. Er erklärt uns beim Durchgang die Kirche. Der Eingangsbereich gehört den griechisch-orthodoxen, der rechte Teil der armenischen Kirche, ein kleiner Teil den Kopten aus Ägypten, daneben eine Nische den Äthiopiern. Den Katholiken gehört der linke Seitenflügel. In der orthodoxen Abteilung preisen vier Mönche in Gesängen Gott, der Äthiopier möchte Spenden für seine bettelarme Kirche sammeln, in der katholischen Ecke knien französische Pilger, die nach uns gekommen sind. Ich habe das unglaubliche Bedürfnis zu beten, lasse mich von der Gruppe zurückfallen und finde eine stille Ecke.
Unser Führer erzählt uns über die Kämpfe zwischen den einzelnen christlichen Gruppen, seit fast 2000 Jahren wird um jeden Zentimeter dieser heiligen Stätte gekämpft, viele Tote hätte es bei dem Streit um größtmögliche Nähe zu der direkten Geburtsstätte von Jesus Christus gegeben. Erst seit einer Art „Konkordat“ durch den damaligen Herrscher über dieses Gebiet, dem Kaiser des Osmanischen Reiches“, gibt es eine Art Status Quo, das die verschiedenen Konfessionen keine physische Gewalt mehr anwenden lässt, auch wenn der Streit in keiner Weise beigelegt ist.
Als wir im uns im Gewölbe unter dem griechisch-orthodoxen Abteilung befinden, erfahren wir, dass das die Grotte gewesen sei, in der Jesus Christus zur Welt kam. Er zeigt uns eine Mulde, die von Edelsteinen , Glas und Gold sternförmig eingefasst ist, das sei der Platz, an dem Maria entbunden hat.
Mich überkommt in diesem Moment keine Ehrfurcht, ich denke an das Land: Hier, wo der Erlöser der Menschheit, der Nächstenliebe, Gewaltfreiheit und Toleranz gelehrt hatte, geboren wurde und lebte, der in der Nähe dieses Ortes die Sünden der Menschheit auf sich nahm, verurteilt und ans Kreuz geschlagen wurde, wieder auferstand und gen Himmel fuhr, hier herrscht seit 2000 Jahren Krieg, Gewalt, Hass und Intoleranz. Ist das Gottes Land? frage ich mich still, ohne darauf eine Antwort zu wissen oder haben zu wollen.
In der Grotte neben der offiziellen Geburtsstätte des Heilands lebte im 4. Jahrhundert 40 Jahre Hieronymos, der als ersten eine schriftliche Darstellung der Bibel in lateinischer Sprache gegeben hat. Diese Bibel war über Jahrhunderte das maßgebliche Buch der christlichen Lehre.
Ich kann hier bei mehreren Altphilologen durch meine im kleinen Latinum nachgewiesenen Kenntnisse der lateinischen Sprache Punkte sammeln, indem ich in Stein gehauene Inschriften übersetze.
Als wir wieder draußen sind, füllt sich der Platz vor der Kirche. Immer mehr Menschen treffen ein, einige mit umgehängten Schnellfeuergewehren, weiter Gewaltbereitschaft signalisierend. In der Nacht werden wir Schüsse hören sowie die Sirenen der Ambulanzen, die auch hier auf dem Platz für den Ernstfall bereitstehen.
Wir fahren zurück nach Beit Jala zu einer Informationsrunde mit Vertretern der deutschen Botschaft Tel Aviv, dem Beauftragten der Bundesregierung für die Palästinensergebiete aus Ramallah, sozusagen der deutsche Botschafter in einem Land, das kein Staat ist, mit deutschen Lehrern, die hier seit Jahren unterrichten, mit christlichen und moslemischen palästinensischen Kollegen. Es herrscht eine unglaubliche Konzentration in der Runde, wir Gäste hängen an den Lippen der Referenten und Teilnehmern und spüren die Hoffnungslosigkeit für Frieden in dieser Region. Wir verstehen alle Seiten, würden vielleicht in deren Situation genauso handeln, aber das scheint Frieden unmöglich zu machen.
Nach dem Abendessen und einer weiteren Diskussionsrunde präsentiert uns CASPAR, ein deutscher Schauspieler und Rezitator, der zurzeit eine Vortragsreise in deutschen Kulturinstituten in Israel durchführt, Kästnergedichte. Ich kann sie in meiner Situation kaum ertragen, weder die „Sachliche Romanze“ noch die „Repetition des Gefühls“. Bei dem Gedicht „Ein Mann gibt Auskunft“ kann ich nicht mehr; ich laufe heulend hinaus in die kalte Bergluft des Heiligen Landes.
Als ich wieder hereinkomme, lassen die anderen den Abend bei einem „Arak“ aus Bethlehem, einem Anisschnaps, ausklingen. Ich gehe ins Bett, kann aber lange nicht schlafen, Gedanken an die heutigen Erlebnisse, meine Traurigkeit, dies alles alleine zu erleben und nicht zu teilen, die Schüsse und Sirenen der Nacht, all das hält mich wach bzw. lässt nur einen Halbschlaf zu.
Am nächsten Morgen ist offiziell schulfrei, es ist moslemischer Feiertag. Ich gehe früh in den bitterkalten Morgen, stelle mir vor, hier zu leben, zu arbeiten, an wärmeren Tagen unter den Pinien oder den Olivenbäumen zu sitzen, alleine, oder besser mit jemandem, der Gedanken lesen kann und mit dem man sich austauschen kann, der dieses Land einatmen kann und vielleicht beim Ausatmen den eigenen Geist von sich gibt, der vielleicht klitzekleine Anregungen enthält, friedlicher zu leben.
Die anderen sitzen beim Frühstück, als ich hereinkomme. Es ist wie eine Familie, man kennt sich, scherzt miteinander, und lästert manchmal hinter dem Rücken der anderen.
Es gibt Seminar, Pflichtprogramm, kooperatives Lernen in Kollegien, Ankündigungen des BVA, bis Mittag. Nach dem Essen holt uns ein Bus mit israelischem Kennzeichen für die Fahrt nach Jerusalem ab, Fahrzeuge mit palästinensischer Nummer dürfen keinen Checkpoint in Richtung Israel passieren. Unser Fahrer ist ein palästinensischer Christ, er wolle bald seiner Familie folgen, nach Kanada, erzählt er uns. Er dürfe israelisches Staatsgebiet betreten, denn er komme aus Ostjerusalem, einem Sondergebiet, außerdem besäße er wegen irgendwelcher glücklichen Umstände noch einen jordanischen Pass. Er spräche außerdem hebräisch, was bei den israelischen Kontrollen hilfreich sei, da es die meisten israelischen Soldaten – selbst wenn sie es könnten –ablehnten, arabisch zu sprechen. Wir fahren immer wieder an dieser unendlich bedrückenden Mauer entlang, bevor wir in die Großstadt Jerusalem eintauchen. Auf einem Parkplatz der Ostjerusalemer Altstadt steigen wir aus. Wir gehen zunächst in das Paulus-Haus, das mit der Schmidt-Schule, einem deutsch geführten Gymnasium, auf einem Gelände liegt. Die Trägerschaft beider Einrichtungen ist der Deutsche Verein vom Heiligen Lande, eine katholische, in Köln beheimatete Einrichtung. Das Paulus-Heim dient als Gästehaus, kann als günstiges Quartier für Jerusalem-Besucher empfohlen werden. Wir steigen auf das Dach des Hauses und haben einen umfassenden Blick über diese so vielen verfeindeten Religionen und Konfessionen heilige Stadt. Unsere Führerin zeigt uns Golgatha, die Grabeskirche, den Felsendom, die El Aksa-Moschee, bevor wir durch das Damaskus-Tor in die Altstadt eintauchen.
Es ist Freitag, muslimischer Sonntag, wir befinden uns im Araberviertel. Alles ist ein Bazar. Landwirtschaftliche Produkte, Andenken, Gebrauchgegenstände, alles wird feilgeboten, nicht anders als im Khalili in Kairo. Aber überall junge israelische Soldaten, das Schnellfeuergewehr im Anschlag, kugelsichere Westen, Headsets für die den Funksprechverkehr am Kopf, eine Zigarette im Mund. Dazwischen die Muezzins von den Moscheen, die zum Gebet rufen. Unsere Führerin heißt Daniela Epstein, sie ist schon ca. 70 Jahre alt, aber unglaublich rüstig und dynamisch. Ihre Eltern sind schon 13 Jahre vor der Staatsgründung, 1935 aus Deutschland nach Israel ausgewandert, sie habe aber viele Jahre in Deutschland gelebt, erzählt sie uns. Der Weg führt uns in die Via Dolorosa, den den Leidensweg in 14 Stationen nachzeichnet. Uns begegnet eine Gruppe von Franziskanern, die eine Prozession anführen und das Kreuz nach Golgatha tragen.
Frau Epstein führt uns zunächst zur St. Anna – Kirche, wo Jesus einen alten Mann wieder zum Gehen verhalf. Er wollte an eine Heilquelle, die sich im Hof der heutigen Kirche befindet, aber weil er nur auf Krücken gehen konnte, waren andere immer schneller. „Wirf deine Krücken fort“, forderte ihn Jesus auf. Und der Mann konnte wieder gehen. In der Kapelle befindet sich eine polnische Pilgergruppe, sie knien und beten andächtig. Ich möchte es auch, habe soviel zu sagen, möchte um Verzeihung bitten, es gelingt mir nicht. Ich bin in einer Gruppe, aber ich fühle mich allein. War es wirklich der Weg von Jesus Christus? Man führt uns zum Berg Antonius, einem im Grün liegenden Innenhof, hier war Jesu nach seiner Gefangenennahme hingeführt worden und hier ist er gefragt worden, wer er sei. „Der König der Juden“, war seine Antwort, daraufhin wurde er zum Tode durch Kreuzigung verurteilt. Dann war sein Weg der, der danach als Kreuzweg bezeichnet und von Millionen von Pilgern nachgegangen wurde. Eine der Stationen, an denen die Pilger halten, ist das Veronika-Haus. Hier kam eine Frau aus dem Haus und reichte Jesus ein Tuch, um ihm den Schweiß abzuwischen. Hinterher fand sich auf dem Tuch der Abdruck des Gesichts Jesu. „Vera Ikonika“, das wahre Gesicht, wurde es genannt, daher käme der Name Veronika. Dann kommen wir an den Punkt Golgatha, die Stelle, an der Christus gekreuzigt wurde. Koreanische Pilger beten hier andächtig und zusammen. Neben der Stelle ragt das Dach der Grabeskirche aus dem Boden. Wir gehen durch mehrere Abteilungen die Grabeskirche hinunter. Zuerst geht es wieder durch die äthiopische Kirche, die Ärmste, wie man uns sagt. Ich erinnere mich an den Taufgottesdienst von Dirk, in der die Taufe des äthiopischen Finanzministers beschrieben wird (Apostelgeschichte 8.26 ff.) Diese Szenen sind hier in der Kirche dargestellt, ich erinnere mich auf einmal genau an den Taufgottesdienst am 29. April des letzten Jahres. Ein äthiopischer Mönch hat einen Schalter in der Hand und jedes Mal, wenn Pilger durchgehen, knipst er das Licht an, wenn sie passiert haben, macht er das Licht wieder aus. Wir gehen weiter, mehrere Etagen. Hier befindet sich die Grotte, in der Jesus begraben wurde, hier ist es voll, brechend voll, man wird zum Weitergehen aufgefordert, die einzelnen Abteilungen (oder christlichen Glaubensrichtungen) gehen ineinander über, leider nur auf dem Weg, nichts ist ihnen fremder als ein ökumenischer Gedanke, doch wen liebt Gott am meisten? Liebt er nicht alle Menschen, auch die Sünder? Ein bisschen ertappe ich mich, wie ich an mich denke, und bitte um ein wenig Liebe und Vergebung, möge er dies an Menschen, die gemeint sind, weitergeben. Orthodoxe Christen küssen inbrünstig den Salbungsstein, Choräle verschiedener Sprachen klingen durch die Kirchenanlage, in der sich auch sich die „Anastasia- Kapelle“, der Ort der Auferstehung befindet.
Ob diese einzelnen Orte authentisch sind, ist unsicher, der römische Kaiser Adrian ließ im 2. Jahrhundert Jerusalem, die Stadt Davids, schleifen, es wurde alles dem Erdboden gleichgemacht. Mich hat dieser heiligste aller christlichen Orte bedrückt, er machte auf mich nicht den Eindruck, ein Ort des Friedens zu sein, ebenso wenig wie die ganze Stadt.
Bevor wir in das jüdische Viertel der Altstadt kommen, passieren wir die evangelische Erlöserkirche, der deutsche Kaiser Wilhelm hat sie 1891 anlässlich seines Besuchs im Heiligen Land eingeweiht. „Gut, dass wir Protestanten auch präsent sind“, dachte ich.
Doch auf einmal ändert sich das Straßenbild völlig. Orthodoxe Juden, die Männer schwarz gewandet, weite Hüte oder Pelzkappen tragend, gehen schnellen Schrittes durch die Gassen, Frauen, fast alle mehr als 10 Kinder im Gefolge, nach Jungen und Mädchen getrennt, folgen ihnen, auf Plätzen tanzen junge Leute, auch Soldaten mit umgehängten Schnellfeuergewehren, im Kreis. Sie alle bereiten sich auf den Sabat vor, doch sie scheinen ihn unterschiedlich zu begehen. Für die emanzipierten Juden ist es ein Freudenfest, mit Tanz, für die orthodoxen Juden, die meist aus Russland und der Ukraine eingewandert sind, ist es eine todernste Angelegenheit. Ich denke daran, wie viele Ethnen allein im Staat Israel aufeinanderprallen, und ich frage mich, was sie einigt. Ist es nur der Feind von außen? Hat der Glauben überhaupt so viele Gemeinsamkeiten? Wir stehen auf einem Balkon über einer Treppe, die zur Klagemauer führt. Gleich hinter der Mauer die goldene Kuppel des Felsendoms, von der Mohammed gen Himmel gefahren sein soll. Ist Jerusalem der Startplatz für die, die zur Rechten und Linken Gottes sitzen? denke ich etwas blasphemisch. Die Sonne versinkt hinter den Häusern der Altstadt, und ein Signal ertönt, das den Sabat einleitet. Der Platz vor der Klagemauer füllt sich, auch wir werfen uns ins Gedränge und werden von den Nachfolgenden die Treppe hinunter geschoben. Alle müssen durch eine Personenkontrolle, man weist uns daraufhin, dass Fotografieren, Rauchen und schnelles Laufen verboten sei. Ich halte mich natürlich daran und schreibe mir Notizen in mein Tagebuch. Ein Soldat kommt auf mich zu. Du darfst nicht schreiben, sagt er zu mir, das verletze die Ruhe des Sabats. Ja,, es ist Arbeit, und die ist an diesem Tag verboten. Und was ist mit Gewehr tragen? denke ich. Man drängt uns, die Klagemauer zu verlassen. Zurück geht es durch das arabische Viertel. Die Stände sind geschlossen, überall stehen schwer bewaffnete Soldaten, junge Frauen und Männer, deren Blicke ihre Bereitschaft erkennen lassen, bei Bedarf sofort zu schießen. Orthodoxe Juden gehen – nicht laufen, das ist am Sabat verboten – zur Klagemauer. Wir verlassen die Altstadt wieder durch das Damaskustor und gehen zum kleinen Empfang in die Schmidt-Schule. Es gibt Weißwein von den Golanhöhen, Oliven, Olivenöl, frisches Brot und Satta, ein Gewürz, in dem man das in Olivenöl getunkte Brot dreht. Es schmeckt herrlich zum Wein, nur schade, dass wir gleich wieder in ein Restaurant zum Essen gehen wollen. Die palästinensische Verwaltungsleiterin der Schule erzählt uns über die Schwierigkeiten in diesem Land und in dieser „Stadt des Friedens“ miteinander zu leben.
Abend sitzen wir in einem Touristenrestaurant, die Preise sind wie in Hamburg, völlig ungewohnt für uns „Ägypter“. Wir unterhalten uns über die Eindrücke des Tages, merken, dass wir alle uns durch diese Erlebnisse näher gekommen sind.
Zurück geht es durch diverse Checkpoints und die Mauer nach Beit Jala, heute wird kein Arak mehr getrunken, schlaftrunken gehen alle auf ihre Zimmer. Ich kann wieder nicht einschlafen, zu sehr denke ich nach über das Erlebte, zu voll ist der Kopf von Eindrücken, zu groß ist die Traurigkeit, dies nicht mit einem geliebten Menschen teilen, es ihm nicht einmal mitteilen zu dürfen.
15.3.08
Ich gehe gegen 7 Uhr zum Tor, durch das schon viele Schüler einströmen. Sie kommen mir Linienbussen oder werden von ihren Eltern gebracht, es gibt keinen Schulbusservice wie in Ägypten. In der letzten Nacht hätte es zwar noch Schießereien gegeben, sagt der junge Mann am Tor, aber das sei fast normal, deshalb würde die Schule nicht geschlossen. Die Schüler der Klassen 5 – 12 legen in ihren Klassen ihre Taschen ab, dann gehen sie hoch in die große Schulkirche, alle, Moslem wie Christen. Es wird auf Arabisch ein Kirchenlied gesungen, am Klavier begleitet, fast alle singen mit. Dann hält ein palästinensischer Lehrer die Andacht, er geht auf die Ereignisse der letzten Tage ein. Alle schauen sehr betroffen aus, als er von Frieden spricht, den es hier seit 2000 Jahren nicht gibt, und der auch nicht am Horizont sichtbar ist. Anschließend beten alle das Vaterunser, auch die sich in der Überzahl befindlichen Moslem. Wir sind beeindruckt, welche Einigkeit hier in dieser Kirche, in dieser Schule herrscht, hier werden Grenzen überschritten in eine bessere Zukunft. Dr. Dürr, der Schulleiter, erzählt uns hinterher, auch moslemische Lehrer und Schüler würden die Andacht halten. Es ginge hier nicht um Mission, sondern um Verständnis und Nähe in diesem zerrissenen Land.
Nach dem Frühstück halten wir Seminar, es geht um die Entwicklung des von Deutschland geförderten Schulwesens in dieser Region, sicher eine wichtige politische Aufgabe.
Gegen 11 Uhr wartet Tarek mit seinem grünen Kleinbus, er hatte uns schon gestern gefahren.
Es soll heute, an unserem letzten Tag, ans Tote Meer gehen, Badehosen mitnehmen, empfahl uns Dr. Dürr. Wir passieren die schon gewohnten Kontrollen und die Mauer auf dem Weg nach Jerusalem, eine junge Soldatin will in unseren Pässen die Visa sehen, die wir nicht haben und brauchen, irritiert erkundigt sie sich über Funk, dann dürfen wir passieren. Irgendwie ist mir nie klar, im welchen Teil, dem A, B, oder C Gebiet, wir uns befinden, jeder dieser Teile der Westbank hat andere Berechtigungen für die Bewohner und die Verwaltung.
Wir fahren eine autobahnähnliche Straße nach Osten, es führt immer bergab, die Landschaft ist gebirgige Wüste. Irgendwann kommt ein Straßenschild mit dem Hinweis, dass wir uns auf der Höhe des Meeresspiegels befinden. Wir spüren an den auf einmal sommerlichen Temperaturen, dass wir uns 1000 m tiefer als Beit Jala befinden. Aber es geht weiter bergab. Es folgen die nächsten Hinweisschilder: 100 m unter sea-level, bei 200 m sehen wir unter uns den nördlichen Rand des Toten Meeres unter uns, gegenüber die Berge Jordaniens. Aber es geht noch tiefer. 400 m liegt das Tote Meer unter dem Meeresspiegel, es ist der tiefste Punkt auf der Erdoberfläche. Links liegt das Jordan-Tal, der Fluss mit dem geweihten Wasser fließt nur noch als Rinnsal ins Tote Meer, zuviel Wasser wurde von Israel aus dem Fluss zu Bewässerungszwecken gepumpt, mit dem Erfolg, dass der Wasserspiegel des Toten Meeres kontinuierlich sinkt.
80 km geht unsere Fahrt am Westufer entlang, links das Meer, rechts die Berge, dazwischen die Straße und Dattelpalmen und nach 60km ein Checkpoint, wir haben die Autonomiegebiete verlassen und sind wieder in Israel.
Irgendwann sagt Tarek, neben dem ich sitze, „Masada“ und zeigt auf einen Tafelberg. Das ist unser Ziel. Es ist eine von Herodes gebaute Festung, die erst nach drei Jahren Belagerung von den Römern eingenommen werden konnte. Wir fahren mit der Seilbahn auf die 400 m über dem Toten Meer liegende Festung. Frieder, Altphilologe, der Flavius im Original gelesen hat, weiß uns aus den Quellentexten dieses römischen Kriegsberichterstatters viel über diese Belagerung zu erzählen. Es gibt riesige Zisternensysteme, man hatte genügend Vorräte angelegt, konnte Gemüse und Obst anbauen und sich deshalb solange halten, erst durch einen abgesicherten Rampenbau schafften es die Römer, das Plateau zu erobern. Die jüdischen Verteidiger begingen kollektiven Selbstmord, die Erzählungen von zwei Überlebenden und die archäologischen Funde gelten als Quellen für das Leben im Belagerungszustand vor ca. 2000 Jahren.
Von oben hat man einen atemberaubenden Blick auf das Tote Meer. Wir fahren wieder runter und setzen die Fahrt fort, zur Public Beach am Toten Meer. Nur einige ziehen Badezeug an, ich lasse mir das einfach nicht entgehen und will das Baden in 37% tiger Salzlösung genießen, etwas, das man im SALÜ-Lüneburg als teure Zusatzleistung anbietet. Es ist ein unglaubliches Gefühl. Ich stehe im Wasser, ohne mich zu bewegen, und mein Oberkörper ragt bis zum untersten Rippenbogen heraus. In der letzten Abendsonne, die die jordanischen Berge in ein prächtiges Farbenspiel tauchen lässt, lasse ich das obligatorische Bild mit der Zeitung machen, auf dem Rücken im Wasser liegen, sich nicht bewegen, Zeitung lesen und das Gefühl haben, man läge im Wasserbett. Ich schlage noch einige Salzstückchen von den Steinen ab, fülle Sand vom Strand in eine leere Flasche, und dann ist intensives Duschen angesagt, damit man sich nicht die nächsten Tage juckt. Ich leide auch hier wieder, durch eigenes Versagen dies alles nicht teilen zu können, ich merke, dass die Schmerzen hierüber immer größer werden.
Viele Israelis grillen am Strand, auch hier wieder Soldaten, die selbst in der Badehose ihr Schnellfeuergewehr im Anschlag haben.
Die Dunkelheit setzt auf der Rückfahrt schnell ein, der Halbmond gibt dem ganzen noch ein anderes, bizarres Licht, wir schrauben uns die Berge hoch, bis wir irgendwann wieder die Lichter Jerusalems vor uns haben, die goldene Kuppel des Felsendoms leuchtet weit in die Nacht hinein.
Wieder geht es durch die Mauer, es geht zum Abschlussessen nach Bethlehem in ein Zeltrestaurant. Die Tische biegen sich unter den Meze, den Vorspeisen, das Hauptgericht, die Grillplatten werden kaum zur Hälfte geschafft. Wir rekapitulieren bei Bier und Wein noch einmal die Erlebnisse der letzten drei Tage, versuchen in Worte zu fassen, was eigentlich ohne Worte war, in Beit Jala werden noch zwei Flaschen Arak leer gemacht, bevor wir die letzte Nacht in den Betten des Gästehauses von Talitha Kumi verbringen.
Um ein Zeitpolster zu gewinnen, müssen wir am nächsten Tag früh aufstehen. Und tatsächlich, die Kontrollen um den Flughafen Tel Aviv dauern unendlich. Immer wieder Checkpoints, permanente Gepäck- und Ticketkontrollen, aber wir haben noch viel Zeit zum Shoppen in diesem riesigen Duty-Free-Warenhaus des Flughafens.
Als wir das Flugzeug von Air Sinai besteigen, sehen wir auf dem Rollfeld die Maschine von Bundeskanzlerin Merkel, die just in diesem Moment zu einem „historischen“ Besuch in Israel eingetroffen ist.
Pünktlich gegen 12.30 Uhr landen wir in Kairo, verabschieden uns voneinander und verteilen uns in alle Richtungen Ägyptens.
Istanbul
Mai 2008
Ich habe ja lange Zeit nichts von mir hören lassen, aber hier waren viele Turbulenzen in Form von zu leistender Arbeit. Aber das Leben besteht ja nicht nur aus der harten Arbeit, sondern hat auch angenehme Seiten.
Das schönste ist, dass es nach Monaten nasskalten Wetters, bei dem vor allem die Räume in der Schule und in den Wohnungen auskühlen, wieder Frühling bzw. gleich Sommer geworden ist. Ich fahre morgens auf dem Fahrrad (indische Hardware ohne Gangschaltung, nicht zu vergleichen mit der Massenware aus China, hatte man mir erzählt) jetzt in kurzen Hosen meinen 5 km langen Schulweg, tausche dann mein T-Shirt gegen ein weißes Hemd mit einem jeden Tag wechselnden Schlips, ziehe eine lange Sommerhose an , um zum Fahnengruß der Schüler angemessen erscheinen zu können.
Übrigens, der Fahnengruß ist ein an allen Schulen Ägyptens verbindliches Ritual, bei welchem nach Aufwärmgymnastik (5 Min.) und Gelöbnis auf die Republik die Nationalhymne, das Bileli, gesungen wird. Der Blick ist dabei auf die Fahne gerichtet, die Hände sind an der Hosennaht. So sind natürlich alle Kinder in Ägypten textsicher, und später kann jeder Fußballnationalspieler bei Länderspielen aus vollem Herzen mitsingen und braucht nicht wie mancher deutsche Fußballer falsche Mundbewegungen machen.
Danach macht die Schulleitung oder ein Lehrer noch Ansagen für den Tag, dann marschieren die Schüler hintereinander in ihre Klassen und beginnen mental gestärkt mit dem Unterricht.
In den Pausen spielen die Jungen unter Anleitung sportlich begabter Praktikanten aus Deutschland Basketball, zuerst mit Julian, den alle Mädchen der Neuen Deutschen Schule Alexandria später heiraten wollen, jetzt mit Florian, der dabei ist, sich ein gleiches Ansehen zu erkämpfen bzw. zu erspielen.
Am Freitag, den 16.5. hatten wir unser erstes großes Frühlingsfest, es war fast wie ein Schulfest in Deutschland. Eltern hatten Kuchen gebacken und die erlesensten Speisen des Orients zubereitet, es wurde Kebab und Kufta (Frikandellen) gegrillt, gab Kaffee und Tee, Flohmarktstände, ein Schminkstudio, Fußballspiele zwischen Söhnen und Vätern (die Väter haben 1:7 gegen ihre Söhne verloren), Lehrervolleyball gegen die benachbarte Deutsche Schule der Borromäerinnen (wir sind kläglich untergegangen), ein Gitarren- und Trommelkonzert und einfach viel gute Laune. Obwohl diese Veranstaltung für ägyptische Schulen ungewöhnlich war, wurden alle von der Fröhlichkeit angesteckt und wollen so ein Fest so bald wie möglich wieder veranstalten. Die Überschüsse dieses Festes waren übrigens für „Charity“ bestimmt, also einem wohltätigen Zweck, nämlich einer Augenklinik, die mit diesem Geld Kindern eine notwendige Operation, die sich die Familien sonst nicht leisten können, ermöglicht.
An dem Wochenende vorher war ich mal wieder außer Landes, nicht dienstlich sondern rein privat. In meiner Lieblingsstadt Istanbul in der Türkei fand ein Volleyballturnier der Deutschen Schulen des östlichen Mittelmeerraumes statt. Ich war von der DSB Alexandria eingeladen worden, mit denen ich in den letzten Monaten im „Sporting-Club“ von Alex schon immer trainiert hatte. Wir fuhren am Donnerstagabend mit dem Bus nach Kairo, flogen um 3.30 Uhr mit Turkish Airlines nach Istanbul, wo wir gegen 6 Uhr zum Sonnenaufgang ankamen. Natürlich schliefen wir nicht mehr, sondern besuchten nach einem ausgiebigen Frühstück in einem Starbucks-Fake die Stadt. Was hat sich Istanbul doch in den letzten Jahren verändert! Es ist, wenn man aus Alex kommt, wie eine westeuropäische Metropole. Die Autofahrer halten sich an die Regeln, die Straßen sind sauber, die Straßenbahnen wie frisch aus der Fabrik, selbst auf dem überdeckten Bazar wird man nicht mehr mit der Aufdringlichkeit vergangener Jahre zum Kauf genötigt. Aber die Silhouette dieser Stadt, egal, aus welchem Blickwinkel man sie betrachtet, bleibt einzigartig! Von Eminönü, dem Schiffsanleger am Goldenen Horn, auf das ansteigende Beyoglu mit dem Galataturm, von Kadiköy und Üsküdar auf dem asiatischen Ufer auf die Hagia Sophia, den Topkapi-Palast und die Blaue Sultan Ahmet Moschee sowie Besiktas und den Dolmabahce Palast, eine Stadt, die in mir Erinnerungen erweckt und vergangene Jahrhunderte, sogar Jahrtausende vorbei ziehen lässt. Die Schiffsfahrt auf dem Bosporus, entlang der teuersten Villen des Orients, unter die Brücken, die Asien und Europa verbinden, Momente, die die mein Herz höher schlagen lassen und mir das Gefühl geben, dies sei der schönste Ort der Welt. Und der allertollste Blick auf die Stadt wurde uns in unserer Wettkampfstätte, dem Alman Erkek Lisesi ermöglicht. Wir durften auf das Bleidach dieses über 200 Jahre alten Gebäudes steigen (es war früher die Schuldenverwaltung des Osmanischen Reiches und liegt auf dem höchsten Punkt des Stadtteils Sultan Ahmet). Dieser Blick vom ungesicherten Dach (wir hielten uns am Blitzableiter fest) ist das Atemberaubendste, was diese schönste aller Städte bietet!
Im Übrigen, wir waren bei netten Kollegen der beiden deutschen Istanbuler Schulen untergebracht, haben die Gastfreundschaft genossen, gut gegessen und getrunken und beim Turnier den 5. Platz von 8 Mannschaften gemacht – aber eine Schule aus Kairo hat gewonnen, also ist der Sieg in Ägypten geblieben.
Am Sonntagabend um 23.3o Uhr flogen ir nach Kairo zurück, am Morgen um 6 Uhr war ich in meiner Wohnung, um 7 Uhr saß ich auf dem Fahrrad und um 7.45 Uhr nahm ich den Fahnengruß ab – Business as usual.
Alexandria, Mai 2008
Tagebuchauszug
Abschied von Mamourah, Juli 2007
Heute bin ich weggegangen von Mamourah – nach 10 Monaten und 19 Tagen. Solange war dieses Feriendorf am Ostrnd von Alexandria mein Zuhause, oder besser, meine Behausung. Wie oft habe ich es verflucht, im Winter, wenn ich trotz drei Wolldecken vor Kälte nicht schlafen konnte, und über Alternativen für ein besseres Leben nachgedacht habe, an den Abenden, an denen ich alleine war, wenn in der Nachbarwohnung nachts um 3 Uhr begonnen wurde, mit enem Bohrhammer zu arbeiten, wenn mal wieder die Gasflasche kurz vor einer Explosion stand, weil die Dichtung nicht das hielt, was ihr Name versprach, wenn Fernseher oder Internet wieder nicht gingen, wenn ich mich über meine Arbeit geärgert habe oder nach dem dreißigsten Stich die zwanzigste Mücke in meinem Schlafzimmer getötet habe……
Als ich heute das letzte Mal in Mamourah herumfuhr, um noch mal zum Strand zu fahren, letzte Besorgungen zu machen, ging es mir anders. Derblaue, wolkenlose Himmel, die klare Luft, der leichte, kühlende Wind, die vielen B, Schatten spendende Bäume, grüne Vorgärten, überall farbige Blüten, es war Wehmut.
Kairo und Fayoum
September 2008
Heute schreibe ich meinen ersten Bericht aus Kairo, denn ich habe Alexandria verlassen und arbeite jetzt an einer Deutschen Schule in Kairo.
Unser Schuljahr hat am 31. August begonnen, ich selbst unterrichte jetzt als Klassenlehrer einer 4. Klasse.
Aber nun zu Kairo: Die Hauptstadt Ägyptens ist eine Stadt der Superlative. Es leben hier ca. 20 Millionen Menschen, jeden Tag entstehen auf Wüstenböden neue Stadtteile. Es ist die größte Stadt Afrikas, hat den Flughafen mit den meisten Verbindungen in Afrika, es ist nach Peking und Mexiko-City die Stadt mit der dichtesten Smogglocke auf der Welt, der Autoverkehr ist gigantisch, Verkehrsregeln gelten nicht, der Lärm in der Stadt ist überschreitet oft die Grenze des Erträglichen – und trotzdem hat die Stadt ihren Charme und ihre Sehenswürdigkeiten, die jährlich viele Millionen von Besuchern anlocken.
Doch ich erlebe Kairo im Moment von einer anderen Seite:
Seit dem 1. September ist Ramadan, der islamische Fastenmonat. Die meisten wissen, dass Muslime während dieser Zeit in der Zeit zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang nichts essen und trinken, aber auch nicht rauchen dürfen. Auch viele Kinder in der Schule fasten, und deshalb findet ein verkürzter Schulbetrieb statt. So ist jetzt statt halb drei halb zwei Unterrichtsschluss statt.
Für mich als Christ, der nicht mit fastet, eröffnet Kairo dadurch völlig neue Perspektiven: Abends gegen 18 Uhr werden ganz plötzlich Kairos Straßen leer – wo vor Minuten sich noch Tausende von Autos quetschten, hupten, versuchten, anderen den Weg abzuschneiden, da ist plötzlich Leere – die Menschen sitzen zu Hause beim Iftar, dem Fastenbrechen nach Sonnenuntergang. Ich hole dann mein Fahrrad heraus und genieße es für zwei Stunden, Kairo zu erkunden, fahre auf den Fahrbahnen der sechsspurigen Ausfallstraßen, über die Brücken, kreuze die Fahrbahnen (als Fußgänger ist man dabei bei normalen Verkehrszeiten im höchsten Maße selbstmordgefährdet) , verliere die Orientierung in dem Straßengewirr und bleibe zum Zeitpunkt des Sonnenunterganges vor einem Park erstaunt stehen:
Auf dem Rasen sitzen viele Familien, sie beginnen nach dem Zeichen aus den naheliegenden Moscheen mit dem Essen. An den Straßen stehen Menschen, die die wenigen Autofahrer anhalten, um ihnen einen Becher mit einem Getränk oder ein Styroporpaket mit einem Essen hereinreichen. An einer Kreuzung steht ein Wagen des global agierenden Ernährungsmulti Knorr, die Mitarbeiter reichen allen einen Becher mit einer Fertigsuppe.
Am nächsten Tag (Donnerstagabend) ist Beginn des Wochenendes. Ich will hinaus aus der Stadt, plane zwei Übernachtungen im Fayoum, einer sogenannten Halboase 120 km südwestlich von Kairo.
Ich verlasse Kairo mit dem vollen Minibus (15 Fahrgäste) gegen 17 Uhr, um 18 Uhr sehen wir hinter den Dünen der Wüste den roten Feuerball versinken. Als wir einen Checkpoint passieren, reicht man auch uns in Styropor verpackte Speisen herein. Wenige Minuten nachdem die Sonne hinter den Hügeln verschwunden ist, kommt aus dem Autoradio das Signal zum Iftar. Frische Datteln werden herumgereicht (die Einstiegsspeise zum Iftar), dann wird getrunken, einige stecken sich als erstes eine Zigarette an, um den Nikotinspiegel wieder ins Gleichgewicht zu bringen, die Wasser- und Fruchtsaftflaschen werden weitergereicht, dann werden die Pakete ebenso wie mitgebrachte Speisen ausgepackt, auch ich muss – obwohl ich nicht gefastet habe – an dem Ritual teilhaben. Ich habe Respekt vor soviel Gemeinsinn und fühle mich trotz des unglaublichen Tempos von 140 km/h, mit dem der Fahrer der schnellste auf de Autobahn ist, wohl in dieser Gemeinschaft. Doch die nächste Aktion erschreckt mich: Man reicht mir, der ich hinten sitze, die mit dem Restmüll gefüllten Plastiktüten und Styroporbehälter durch und bedeutet mir, ich solle sie durch das Fenster hinauswerfen. Ich tue so, als wenn ich nicht verstehe, aber der junge Mann auf der anderen Seite übernimmt den Job. Alle Mülltüten, Glas- und Plastikflaschen sowie Styroporreste fliegen hinaus, man schaut nicht mal auf nachfolgende Autos. „Was soll das?“ frage ich mich, und meine eben entstandene Sympathie für die Menschen schlägt um. „Wie kann man nur sein eigenes Land so zumüllen?“. Aber ich bin ja nicht als Missionar in dieses Land gekommen, obwohl ich große Lust habe, eine Predigt zu halten.
Am nächsten Tag im Fayoum lasse ich mich von einem Taxi zu verschiedenen Sehenswürdigkeiten fahren. Karmel, der Fahrer, fastet nicht. Er raucht während der Fahrt und und lässt sich an verschiedenen Stellen seine Flasche mit frischem Wasser auffüllen. Sein Arzt habe ihm das Fasten untersagt, wegen seines Herzens, bedeutet er mir. Und im selben Moment steckt er sich eine neue Zigarette an. Als ich ihn frage, ob er nicht lieber – wegen seines Herzens – einen „kleinen Ramadan“ durchführen wolle und als erstes völlig auf das Rauchen verzichten würde, sagt er mir, das ginge nicht, das würde er nicht schaffen. Aber seine Frau würde fasten, und das sei genug, wenn es einer in der Familie täte, und dabei lächelt er mir verschmitzt zu.
Als ich kurz vor meiner Rückfahrt von Fayoum noch einmal einen stillen Ort aufsuchen will, lande ich in einer abgedunkelten Bar. Sie ist voll von Shisha rauchenden, Tee trinkenden und einigen spielenden Männern.
„Ramadan Karim“ sagt man hier in Ägypten, um seinen Respekt zu erweisen.

Reitausflug
Kairo November 2008
In Kairo ist Herbst. Mitte November ist die Zeit, wo man sich seine Jacke herausholen muss, wenn man am Abend hinausgeht, nachmittags auf der der Sonne abgewandten Balkonseite sitzt, morgens auf dem Motorrad fährt – obwohl die Wettermeldungen der Deutschen Welle für Kairo noch immer 28° angeben. Es ist aber auch die Zeit von Unternehmungen, für die es sonst zu heiß ist.
So wie der heutige Freitag. Wolfgang, Kollege und Flurnachbar in meinem Apartmenthaus in Agouza (Stadtteil in Kairo-Downtown) klopft wie verabredet gegen 8 Uhr an meiner Tür. Ich ziehe mir meine Herbst-Fleecejacke von Jack Wolfskin an, schultere meinen Rucksack, und wenige Minuten später sind wir mit der chinesischen 175-er Maschine von Wolfgang in Richtung Giza auf den wegen des moslemischen Sonntags leeren Straßen unterwegs. Nach ca. 15 km tauchen sie hinter der Wand von Hochhäusern auf: die Pyramiden von Giza, zum Greifen nahe. Es geht noch einmal links herum entlang einem Kanal, der sein Wasser aus dem Nil bezieht, dann rechts durch enge Gassen, die von Lastwagen verstopft sind, die sich nicht begegnen können (aber für einen erfahrenen Motorradfahrer wie Wolfgang kein Problem sind), und schon stehen sie links und rechts des Weges, die Pferde und Kamele, die zum Ritt durch die Wüste einladen. Wir fahren zielstrebig zu einem Stall direkt neben dem Pyramidengebiet, nur 300 m von der Sphinx entfernt. Der vor seinem Stall thronende Besitzer, ein Sheik von mindestens 200 kg Lebendgewicht, weist seine Stalljungen an, uns Pferde zu bringen. Ich ziehe meine Jacke jetzt aus, creme mich noch mit Sonnenmilch ein und setze meine neu erworbene Sonnenbrille auf. Wolfgang, der erfahrene Reiter, bekommt einen kräftigen Braunen, mir bringt man einen Rappen, der etwas träger sein soll, aber für einen Anfänger wie mich geeignet ist. Es ist mein zweiter Ausritt, nicht nur in Ägypten, sondern meines Lebens. Youssef, der mich auf einem Esel begleiten soll, hilft mir in den Steigbügel und führt das Pferd, das zuerst wenig Bereitschaft und Interesse an einem Ausritt mit mir zeigt. Wolfgang weist mich noch einmal auf den aufrechten Sitz hin, erklärt mir, dass ich nur mit den Fußspitzen in den Steigbügeln stehen dürfe und dass meine Oberschenkel Druck auf die Pferdeseiten ausüben sollten.
Inzwischen kriegt mein Rappe mehr Lust und fällt in einem leichten Trab. Ich übe das Schnalzen mit der Zunge, um das Tier zu noch mehr Vortrieb zu animieren. Es geht durch ein kleines Dorf, an einem Friedhof vorbei, links die Felder, rechts die Wüste. Endlich geht es hinein in den Sand! Youssef gibt meinem Rappen von seinem Esel aus mit der Gerte einen leichten Schlag auf das Hinterteil, der Schritt wird schneller. Wolfgang galoppiert an uns vorbei, er will uns jetzt alleine lassen, doch mein Pferd hat das Gefühl es müsse mithalten und es fällt auch in den Galopp, dass Youssef nicht mehr mithalten kann. Ich kriege es mit der Angst zu tun, ziehe die Zügel zu mir ran und stoppe, während Wolfgang bereits hinter der ersten Düne entschwunden ist. Es sind heute viele Reiter unterwegs, meist Ägypter, denn die Zeit der ganz großen Touristenströme fängt erst wieder zu Weihnachten an. Wir haben ein Ziel, an dem wir uns wieder mit Wolfgang treffen wollen, eine Teestube (oder eher Hütte) auf der höchsten Düne, mit einem atemberaubenden Blick auf die im Norden liegenden Pyramiden (gutes Fotolicht), die Smogglocke, die das gemeinsame Dach für die Wolkenkratzer der durch den Nil getrennten Megastädte Kairo und Giza bilden, die Pyramiden von Sakkara im Süden und im Westen die endlose Weite der Sahara (was eigentlich nur Wüste heißt). Ich lade Youssef zu einer Pepsi ein, er macht ein paar Fotos von mir und meinem Rappen mit den Pyramiden im Hintergrund, Wolfgang kommt von einer anderen Dünen angaloppiert, und dann geht die Sandpiste hinunter in Richtung Ställe. Doch in das vom Ethos des Tierschutzes geprägte Auge eines Westlers (der aber nicht als Missionar kommen wollte) steigen bei diesem letzten Stück des Rittes Tränen: Überall im Sand liegen Pferdekadaver, Skelette und Häute, teilweise noch ganz frisch verstorbene Tiere. Erfüllt ein Tier nicht mehr seinen Dienst, wird es gnadenlos eben an der Stelle erschossen, an der es sich verweigert. Die Körper dienen den wilden Hunderudeln in der Nacht als willkommene Abwechslung auf ihrem Speiseplan, das übrige besorgen Vögel, die auch im Tageslicht keine Scheu haben die Kadaver sauber zu skelettieren.
Wir reiten zurück zum Stall, Youssef hat schon die Hand aufgehalten, um sein Bakschisch zu kassieren, wir setzen uns auf die Dachterrasse des über den Ställen gelegenen „Barry’s“, welches den schönsten Blick auf Pyramiden und den Sphinx bietet, trinken eine Limonade aus frisch gepressten Limettensaft und bestätigen uns gegenseitig, wie gut es uns geht.
Unser Ritt auf dem Motorrad soll uns jetzt nach Maadi führen, auf der anderen Seite des Nils im Süden Kairos gelegen. Auf dem Weg dorthin mache ich eine weitere neue Erfahrung: Auf einem wenig befahrenen Autobahnzubringer gibt mir Wolfgang eine Lehrstunde im Motorradfahren. Zu welchen neuen lustvollen Erfahrungen man auch als alter Mann noch in der Lage ist!
Dann fahren wir über die Nilbrücke, unter uns eine landwirtschaftlich genutzte Insel und der träge dahin fließende Strom. Nach 10 km sind wir Maadi, dem Blankenese von Kairo. Villen, Parks, Gärten, gepflegte Straßen, Antiquitätengeschäfte, Cafés und Restaurants, alles findet in diesem überwiegend von westlichen und östlichen Ausländern bewohnten Stadtteil seine Kunden und Liebhaber. Wir essen im Gartenrestaurant „55“ zu Mittag ein Hamburger Menü, trinken unseren „Gawa Mazbut“ (den perfekten Kaffee) und suchen dann noch zwei Geschäfte auf: den „Proteine-Shop“, wo es Schweinefleisch gibt, und den einzigen Supermarkt Ägyptens, der auch Wein und Bier verkauft. Nachdem wir unsere Einkäufe im Koffer des Motorrades verstaut haben, ziehe ich mir wieder meine Fliesjacke über mein T-Shirt und wir fahren entlang des Nils im zunehmenden Verkehr wieder nach Agouza, unserem Stadtteil.
Die Sonne ist inzwischen hinter den Häusern verschwunden, der Wind auf dem Balkon wird stärker, und gegen 17 Uhr bricht die Dunkelheit ein. Und das Leben und damit der Verkehr nimmt wieder zu. In der Straße vor unserem Haus bilden sich wieder die ersten Staus, das ungeduldige Hupen der Autofahrer nimmt zu und in den Cafés sitzen wieder die Männer, rauchen Wasserpfeife, trinken Tee und spielen Backgammon, aber sie tragen jetzt an diesem herbstlichen Abend ihre Jacken. Aber trotzdem wird sich auch an diesem Abend das Leben in Kairo auf den Straßen abspielen, die ganze Nacht, bis in den Morgen. Aber ich selbst werde in dieser Nacht die Ruhe im Bett suchen, bis mich morgen früh um 4.15 Uhr der Muezzin in der gegenüberliegenden Moschee mit seinem frommen Gesang wecken wird.
Ich hoffe, dass ich einen Eindruck vermitteln konnte, wie ich einen Feiertag im herbstlichen Kairo verbringe!

Weihnachtsbrief 2008
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Bunatwiete/Maretstraße,
es geht mit großen Schritten auf das Weihnachtsfest 2008 zu, und trotz Sonnenschein und spätsommerlicher Temperaturen geht auch hier das bevorstehende Weihnachtsfest nicht an uns vorbei, sondern erinnert uns mehr als kommerzielle Strategie denn als tiefes Gefühl an das bevorstehende Fest.
Ich habe bereits dreimal Weihnachtsbazare besucht bzw. mit gestaltet, den der europäischen Botschaften im Nile Hilton (ich habe statt der erwünschten Flugreise in eine europäische oder überseeische Metropole bei der Tombola einen Philips-Kontaktgrill gewonnen), den der DEO (Deutsche Evangelische Oberschule, das Flaggschiff deutscher Auslandsschulen mit Biergarten, Weißwürsten und Schwarzwälderkirsch) sowie unseren eigenen, der Europaschule. Selbstgebasteltes, selbstgebackene Kuchen, Café am Pool, Weihnachtstheaterstücke, Liedersingen, und vor allem Geld verdienen (wohin der nicht unerhebliche Profit geht, das war mir am Ende der Veranstaltung noch nicht klar). Ich konnte es nicht lassen, hatte mir einen Riesen-Topf geliehen und 25 l schöne, scharfe, richtig deutsche Gulaschsuppe gekocht. Mir verlieh es natürlich Befriedigung, dass die Suppe innerhalb kurzer Zeit verkauft war und offensichtlich dem Geschmack ägyptischer Mütter und Väter entsprach.
Einem Weihnachtskonzert wohnte ich auch schon bei, natürlich wurde auch hier der „Messias“ von Händel von einem internationalen Chor und Orchester präsentiert. Die Kathedrale war gut besucht, aber bei mir mochte keine Weihnachtsstimmung aufkommen, vielleicht waren meine Gedanken nicht so weit.
Neben unserer Schul-Weihnachtsfeier am letzten Schultag (21.12.) werden wir am 18.12. im kleinen Kreis – mein Kollege und Hobby-Koch Wolfgang sowie Mitarbeitern der GIZ (offensichtlich mein neuer Freundeskreis) ein 6 –Gänge Menü zelebrieren. Da GIZ – Mitarbeiter wie Botschaftsangehörige immer eine bestimmtes Kontingent an erlesenen Importwaren in Anspruch nehmen dürfen, ist beim Essen und den Getränken für das richtige Weihnachts-Feeling gesorgt. Ich werde für die Ente, Rotkohl und Serviettenknödel zuständig sein.
Es erinnert mich natürlich an Koch-Klub-Tage im Keller der Buna, und ich will bei diesen Gedanken auch Wehmut und Sehnsucht nicht verhehlen.
Auch beschäftigt mich die Frage, ob es wieder im Foyer der Bunatwiete eine Weihnachtsfeier geben wird, ob die Diskussion, in wieweit Pensionäre zu welchem Preis teilnehmen sollen oder der Preis für das „Rund-um-Paket“ wieder zu hoch sei, ob Marco wieder seine Feuerzangenbowle mit möglichem exzessiven Ausgang veranstaltet hat.
Eben habe ich den Wetterbericht gehört, in ganz Deutschland Schnee und Eis. Ja, auch danach sehne ich mich, denke an Januartage im Schnee von Mühlbach, an Gänge im kalten Regen über den Weihnachtsmarkt, an echte Weihnachtsbäume und meine oft nicht glücklichen Versuche, auf den letzten Drücker Weihnachtsgeschenke zu erwerben.
Ich selbst werde Weihnachten hier in Ägypten bleiben, erwarte auch keinen Besuch aus Deutschland. Ich plane eine Reise nach Siva, einer Wüstenoase nahe der Libyschen Grenze, ein eigenes Land, eine eigene Sprache. Anschließend werde ich wohl noch einige Tage in Luxor bzw. am Roten Meer verbringen.
Wie es aussieht, werde ich meinen Antrag auf Beurlaubung um ein weiteres Jahr verlängern.
An meiner neuen Schule hier in Kairo fühle ich mich sehr wohl, und es geben sich auch für mich immer neue Perspektiven. Übrigens, ein Besuch auf der Website unserer Schule lohnt sich!
Die Adresse lautet
Gesundheitlich ging es mir hier bisher meist gut. In der letzten Woche allerdings – rechtzeitig zu der Ferienwoche des Opferfestes – erwischte mich eine Grippe, so dass ich die Ferienaktiväten wie Ballonflug über das Tal der Könige, Nilkreuzfahrt bis Assuan, diverse Ausflüge in die ägyptische Geschichte (die sich mir übrigens immer mehr öffnet und sich wie ein Mosaik zusammenfügt) nur unter dem Einsatz von Antibiotika durchstehen konnte.
Ich besuche regelmäßig ein Fitness-Center (leider nicht Kieser-Standard, aber im 14. Stock mit atemberaubenden Blick über Kairo), gehe häufiger reiten und hoffe, dass ich auch weiter meine Fahrrad- und Motorradtouren in Kairo unbeschadet überstehe.
Über die Entwicklung „unserer“ (oder doch nur „eurer“?) Schule hat mir Marco und Herrmann gelegentlich berichtet. Es scheint ja alles in Richtung „Primarschule“ zu gehen. Das bedeutet ja sicher auch, dass ein Teil des Kollegiums die Schule verlassen wird. Aber auch durch die altersmäßige Umstrukturierung wird sich sicher viel verändern.
Ich habe meine Entscheidung gefällt. Auf dem Weg dahin habe ich ganz viele Fehler gemacht (rückblickend gesehen), anderen und auch mir selbst Schmerzen zugefügt und viel zugemutet, aber Erfahrungen in einem anderen Land zu machen, diese auch zu leben, das war immer ein Traum, den ich mir viel zu spät erfüllt habe. Und ich möchte auch von diesen Erfahrungen nichts missen, auch wenn immer aussprechbare und vor allem auch nicht aussprechbare Sehnsüchte bleiben.
Ich würde mich übrigens über gelegentliche Mails (wehmeyer.klaus@gmail.com), Telefongespräche oder Besuche freuen!
Ich denke an Euch, stelle mir den Stress dieser kurzen Tage und hektischen Wochen vor, binde mir manchmal in Gedanken den Schal um, setze eine Mütze auf und ziehe mir Handschuhe an, um das Gefühl für Winter zu entwickeln.
Aber dann mache ich mich in meinen Gedanken und real wieder auf in die Sonne. Ich werde gleich meine Tasche packen, um die letzten drei Ferientage am Rotmeerstrand auf dem Sinai zu verbringen.
Ich wünsche euch allen ein gesegnetes Weihnachtsfest, viel Kraft für alle Veränderungen in der Schule, aber auch für alle persönlichen Dinge in der Weihnachtszeit und vor allem auch im nächsten Jahr.
Alles Liebe aus Kairo
Euer Klaus Wehmeyer
11. Dezember 2008
Von Heksamarre – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3670148

Oase Siwa
Weihnachten 2008
Es ist der 23. Dezember. Die meisten Kollegen fliegen heute nach Deutschland, ich habe beschlossen, in Ägypten zu bleiben. Ich will endlich die Wüste und die Oasen kennenlernen.
Den Heiligen Abend verbringe ich noch in einer Gruppe verschiedener Nationen im Haus einer Kollegin bei Rotkohl, Gulasch und Semmelknödeln, gemeinsam gekocht und auch von Ägyptern gemocht, und am nächsten Morgen breche ich auf nach Siwa.
Siwa ist die westlichste der großen Oasen Ägyptens und liegt dicht an der Grenze zu Libyen. Ein direkter Weg jedoch führt nicht dahin, es ist nur in einem 12 tägigen Marsch mit Kamelen oder sehr guten Allradautos möglich, es sind ca. 550 km. Ich nehme den Bus (die Strecke beträgt ca. 800 km), er fährt die Desert Road Richtung Alexandria, biegt irgendwann in Richtung El Alamein (dem Schlachtfeld des deutschen Afrikafeldzuges im 2. Weltkrieg) ab, fährt 250 km der hier wieder wundervollen Mittelmeerküste entlang, um gegen 13 Uhr in Masa Matruh anzukommen. Dort wechsle ich den Bus, der die letzten 300 km durch die Wüste direkt nach Siwa führt. Endlose Weiten, Sand und Geröll und kleine Gebirgszüge wechseln sich ab, nach vier Stunden liegt vor uns eine Depression (fast 40 m unter dem Meeresspiegel), wir tauchen aus einem Höhenzug in die Oase ein. Riesige Seen liegen links und rechts vor uns, das Grün von Dattelpalmen und Olivenbäumen rahmt uns bald ein, und plötzlich befinden wir uns mitten in einer kleinen Stadt.
Eselstaxis stehen bereit, um die Reisenden in die wenigen Hotels zu bringen, ich ziehe es vor, erstmal im gegenüber liegenden Touristenbüro zu fragen. Ie ganz preiswerten Hotels (2 € pro Nacht) sagen mir jedoch nicht zu, ich entscheide mich dann doch für eine 20€ Version mit Frühstück, herrlich in einem Palmenhain gelegen. Ein Motorrad holt mich ab und bringt mich in mein etwas abgelegenes Quartier.
Die Dunkelheit ist eingebrochen. Ich sitze noch ein wenig auf der Dachterrasse meines Hotels, eine Feuerschale und meine Mühlbach-erprobte Schijacke schützen mich gegen die weihnachtliche Wüstenkälte, aber trotzdem will ich diesen unglaublichen Sternenhimmel genießen.
Im Bett schlafe ich mit drei Kamelhaardecken und Rollkragenpullover, am nächsten Morgen beim Frühstück auf der Dachterrasse treffe ich ein Lehrerpaar von der Gesamtschule Allermöhe, sie wollen mit gemietetem Toyota-Landcruiser und zwei Fahrern eine Wüstentour bis zur Grenze des Tschad machen. Nein, Angst vor Entführungen hätten sie nicht, sagen sie , als ich sie auf das Kidnapping einer Reisegruppe sechs Wochen zuvor anspreche. Sie haben alles dabei, Iridion-Handy mit direkter Verbindung zum Satelliten, GPS und eine Kamera mit zweiten eingebautem GPS, damit man immer exakt weiß, wo das Photo aufgenommen wurde. Ich bitte um die Koordinaten, unser Hotel Dream-Lodge hat die Nördliche Breite 29°12,605 Min. sowie die Östliche Länge 25° 31,673 Min, teilt er mir bereitwillig mit.
Nach dem guten Frühstück fahre ich in die Stadt, um mir ein Fahrrad zur Erkundung der Oase zu mieten. Die zerfallene Stadt, die aus Lehmbauten besteht und 1983 bei einem dreitägigen Dauerregen zerstört wurde – der letzte Regen hier, der Totenberg, auf dem die die Siwabewohner jahrtausendelang ihre Angehörigen bestattet haben, der Tempel des Amun, zu dem Alexander der Große 331 v.Chr. gezogen war, um sich von den Priestern des Sonnengottes bestätigen zu lassen, dass er dessen Sohn sei, somit konnte er auch Pharao von Ägypten werden.
Ich fahre durch kilometerlange Dattelhaine, treffe eine Kanadierin, die auch mit mir Bus saß, fahre an dem riesigen See entlang, dessen Ufer direkt in die Wüste übergehen, um nach vielen Kilometern ein Hinweisschild auf eine heiße Quelle zu finden. Ich radle einen Sandweg hinauf, da liegt sie vor mir. Ein artesischer Brunnen (das Wasser kommt mit eigenem Druck aus dem Erdinnern) speist ein Becken, es erinnert mich an Ischia und die Azoren. Im Becken liegen eine ältere Dame, Hannelore, und ein englisches Paar. Hannelore erzählt mir gleich bereitwillig, sie sei anerkannte Heilerin, sie würde hier 8 Monate im Jahr leben und mit gestressten Westlern Therapien durchführen, auch für mich hätte sie sicher ein Programm….ich steige erstmal zu ihnen ins Becken, Hannelore schlägt mir dann noch ein Schlammbad (Fango) vor, der sich in einem davor liegendem Becken abgelagert hat, was ich gerne annehme, während sie sich mit ihren „englischen Patienten“ zu einem „Sandbad“ begibt, d.h. beide buddeln sich in den Wüstensand ein.
Ich fahre weiter, durch Dörfer, deren Häuser aus ungebrannten Lehmziegeln gebaut sind, die Sonne lehnt sich schon an die Berge im Westen an, bevor sie hinter ihnen verschwinden will. Rechtzeitig zu ihrem Untergang bin ich wieder am Markt des Hauptdorfes, ich klettere auf den höchsten Punkt der alten Stadt, ohne Kamera, die einen Sandschaden hat, um die Sonne endgültig verschwinden zu sehen.
Die Rucksackleute treffen sich im Café am Markt. Bei einem Siwa-Cay oder einem Gawa Mazbut (Turkish Coffee) tauscht man Erfahrungen aus, plant gemeinsame Touren mit Landcruisers oder Kamelen, erzählt von seinem Erlebnissen, schreibt Tagebuch oder genießt das Treiben in der Oase. Die Frauen hier sind -schon aus vorislamischer Tradition- völlig verhüllt, nicht einmal ein Sehschlitz bleibt ihnen, wohl nur ein poröses Gewebe vor den Augen. Für viele der Bewohner der Oase ist Arabisch eine Fremdsprache, sie sind aus dem Sudan, aus Marokko und dem Tschad vor vielen Jahrhunderten hierher gezogen und waren vom ägyptischen Mutterland fast ein Jahrtausend vergessen, nur Karawanenführer kannten den Weg durch den Weiten der Sahara zu dieser Oase. Der brasilianische Schriftsteller Paolo Coellho soll Siwa auf seinen Reisen kennengelernt haben und seine Eindrücke in seinem Roman „Der Alchemist“ verarbeitet haben.
Am nächsten Morgen setze ich meine Radtour fort, genieße die Ruhe an Brunnen und in Dattel- und Olivenhainen, fahre zum höchsten Hügel der Oase, der weit über die Depression hinausragt, sitze stundenlang alleine auf seinem Gipfel, den ich nur mit Mühe besteigen konnte und genieße Ruhe, Blick, klare Luft und Sonne mit dem Wunsch, dies teilen zu können.
Nach einem Mittagsimbiss (hier werden neben Gemüse vor allem Hühnchen angeboten) entscheide ich mich für einen Friseurbesuch, ein Weihnachtsschnitt muss her!
Der Meister arbeitet gewissenhaft und berücksichtigt meine individuellen Wünsche, mit den von mir gezahlten 25 Guinee (3 Euro) scheint er sehr zufrieden. Ich genieße noch mal von den Zinnen der alten Stadt die Sonne, Hunderte von Ibissen fliegen durch ihr Licht, um von den Spitzen der Dattelpalmen ihrem Untergang zuzusehen und ihren Wiederaufgang zu erwarten. Ich fahre mit dem 10 p.m. -Bus nach Kairo, kann mich in der letzten Reihe lang legen und komme am nächsten Morgen ausgeschlafen um 7 Uhr in Agouza an.
Klaus Wehmeyer
Kairo, Dezember 2008
Oasen des New Valley
Januar 2009
Am Neujahrstag zieht es mich aus meinem Hotel in Luxor wieder zurück in die Wüste. Mein Ziel ist Kharga, die südlichste Oase des „New Valley“. Direkt durch die Wüste in Richtung Westen geht nicht für Individualtouristen, nur für Gruppen mit besonderer Genehmigung. Also fahre ich mit dem Zug 300 km nilaufwärts bis Asjut, genieße vom ungeputzten Zugfenster aus die malerische Landschaft der Flussoase, habe dort 6 Stunden Aufenthalt, bevor ich um 20 Uhr den alten, klapprigen Bus nach Kharga und Dakhla besteige. Mit mir sind zwei Deutsche, zwei Italiener und ein Franzose im Bus, die ich in den nächsten Tagen immer wieder treffen werde.
Ich bitte beim Ticket-Kauf um einen Platz mit viel Beinfreiheit, das Gegenteil wird mir erfüllt. Ich sitze am Fenster, neben dem offensichtlich dicksten Mann Ägyptens, der sofort nach der Abfahrt seinen Kopf auf meine Schulter legt und sanft entschlummert, die Sanftheit wird gelegentlich unterbrochen von unrhythmischen Schnarchtönen, das ganze 6 Stunden lang. Nur einmal gönnt man uns eine Pinkel- und Zigarettepause mitten in der Wüste.
Diese nehme ich im Dunkel der Nacht nicht wahr, ich spüre nur den engen Sitz und meinen Nachbarn. Wir fahren in Richtung Südwesten, fast auf die Höhe von Luxor, gegen 1 Uhr legen der Lichter der südlichsten New Valley-Oasen vor uns. In Kharga steigen viele Passagiere aus, zum Glück auch mein Nachbar.Zwei weitere Stunden geht es durch die Nacht, gegen halb zwei sind wir in Dakhla. An der Bushaltestelle wartet ein Hotelschlepper, ich bin so müde, dass ich mich auf ein mieses, dreckiges Zimmer für 30 LE einlasse. Am Morgen um acht Uhr bin ich wieder draußen, verzichte auf das Frühstück und orientiere mich auf der Hauptstraße der Oase mit meinem Reiseführer. Das Touristenbüro ist nicht besetzt, aber der Hunger treibt mich in das Restaurant von Arabi Helal, der in meinem Reiseführer als freundlicher Mensch ausgewiesen wird. Er macht mir eine doppelte Portion Rührei, ich trinke Tee er setzt sich zu mir und wir beginnen eine Unterhaltung. Als ich anschneide, dass ich einen Führer für Wüste und Oase benötige, bietet er mir an, mein Guide zu sein. Er habe ein Motorrad und einen zusätzlichen Helm, ob ich mir vorstellen könne, als Sozius auf seiner Maschine zu fahren. Kann ich natürlich, ich checke noch schnell in einem Hotel seiner Empfehlung ein, und 15 Minuten später kommt er mit seiner 27 Jahre alten 250-er Java, eine unverwüstliche Maschine aus tschechischer Produktion. Ich setze den Helm auf, ziehe meine Schijacke an, und ab geht auf meine Dakhla Tour.
Die Oase erstreckt sich über fast 20 km im Radius, nicht alles ist landwirtschaftliche Fläche, es ist immer wieder unterbrochen durch kilometerlange Sandflächen. Die Oase befindet sich in einer Senke unter dem Niveau des Meeresspiegels, an den tiefsten Stellen gibt es immer wieder Brunnen, die die Oase bewässern und in langen Leitungen und Gräben, oft unter dem Einsatz von Pumpen, die das Wasser zur Bewässerung weit verzweigen. Zuerst fährt Arabi mch in in einen kleinen Ort und zeigt mir eine Holzmanufaktur, in der Beduinenmädchen auf eine Berufstätgkeit außerhalb der Familie vorbereitet werden. Das Projekt wird unter anderem von der GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, über sie wickelt Deutschland den größten Teil seiner Entwicklungshilfe ab) unterstützt. Weiter fahren wir zu einem mitten im Wüstensand befindlichen römischen Tempel, der von Nero gebaut wurde als ein Zeichen, dass er die ägyptischen Götter anerkenne. Erst im 19. Jahrhundert wurde er auf einer Expedition von einem deutschen Forscher entdeckt und aus dem Wüstensand gegraben. Nicht das Bauwerk an sich fasziniert mich, sondern dass ich alleine mit dem Tempel und der atemberaubenden Wüstenlandschaft bin. Vor mir erheben sich die Sanddünen in die klare Winterluft, vor dem Horizont erhebt sich gewaltig die Abbruchkante in das Blau des Himmels. Arabi spürt meinen Wunsch nach Ruhe und zieht sich zurück. Nach einer Stunde fährt er mit mir über Sandpisten zu dem Totenhügel Muzzawaga, dort sind in offen liegenden Grabkammern mumifizierte Tote aus der Römerzeit zu betrachten – kein schöner Anblick und natürlich nicht mit den Mumien ägyptischer Pharaonen zu vergleichen. Arabi kündigt mir als nächstes Ziel die Stadt Quasra im Norden an. Wir fahren jetzt über Asphaltstrassen, bis wir in dieser alten, aus Lehmbauten bestehenden Siedlung ankommen. Die Stadt steht unter dem Schutz der UNESCO, die die Bauten so erhalten will, dass man in ihnen das Oasenleben, wie es über Jahrtausende bestand, nachvollziehen kann. Enge, schattige Gänge, die Wärme im Winter speichern und eine ständige Belüftung im Sommer garantieren führen zu den Hauseinheiten, die in den Hügel hineingearbeitet sind. Als wir oben angekommen sind, hat man einen herrlichen Blick über Quasra, in der das Leben stehen geblieben ist. Ich schaue auf die nahe Abbruchkante der Wüste, wie in einem Krater liegt die Senke der Oase weit unter ihrem Niveau.
Arabi erklärt mir das Leben in diesen alten Oasenstädten, es war eine perfekte Infrastruktur, um zu überleben, als Wirtschaftseinheit und als Trutzburg gegen Feinde von außen, die immer wieder aus der Wüste kamen, um die Stadt zu berauben. Anschließend sitzen wir im Boarding House und trinken einen Tee, der mit Arabi befreundete Besitzer freut sich über die wohlwollende Bewertung durch den Autor meines Reiseführers, ich hatte ihm die entsprechenden Passagen übersetzt. Durch Dattelpalmenhaine fährt mich Arabi auf seiner Java über Sandwege zu seiner Lieblingsquelle, die er bei seiner Physiotherapie (das macht er auch!) einsetzt. Ich ziehe mich aus und steige für eine halbe Stunde in diese 40° heiße Quelle, um mich herum der Wüste abgewonnene Felder. Ich genieße das Alleinsein, das fallende Licht, dass von Minute zu Minute die Farbe der Sanddünen und des Himmels verändert, jedoch nicht die Stille, denn Wasser muss seit zwei Jahren mit einer Dieselpumpe gefördert werden, deren Lärm nicht in die Umgebung passt. Die früher als Artesischer Brunnen heraussprudelnde Quelle hat nicht mehr genügend Druck, man hat zuviel Wasser für die Bewässerung abgezogen. Erholt ziehe ich mich wieder an, und in die Dämmerung hinein fahren wir wieder die 30 km nach Dakhla zurück.
Dort bereitet mir Arabi in seinem Restaurant ein Abendessen, eine Linsensuppe, ein Hähnchen aus eigenem Stall, behauptet er, mit Gemüse und Reis. Dazu bietet er mir ein Stella-Bier an, Touristen dürfe er es verkaufen, lächelt er verschmitzt.
Nach einer kalten Nacht im Hotel steige ich am nächsten Morgen wieder auf Arabis Java. Wir fahren nach Bashandy, ich besichtige eine Teppichknüpferei und kaufe eine Decke aus Kamelhaar, trotz meiner Bedenken wegen der Transportschwierigkeiten, wir besuchen das Grab eines pharaonischen Gouverneurs und wieder eine heiße Quelle, in der ich erneut meine Muskeln und Knochen pflegen kann. Den Sonnenuntergang erlebe ich vom Dach des Hotels „Palm Garden“. Tausende von weißen Ibissen fliegen gegen das letzte Sonnenlicht in die Wipfel der Palmen unter mir – so wie sie es seit Urzeiten tun, um die Sonne zu verabschieden und die Nacht zu begrüßen.
Maibaumklau in Ägypten
Mai 2009
Es sind deutsche Kulturwochen in Kairo. Ein Hochglanzprospekt , herausgegeben von der Botschaft und dem Goethe-Institut Ägypten, kündigt für Freitag, den 1. Mai ab 14 Uhr (nach dem Gebet) auf dem Gelände der DEO, der Deutschen Evangelischen Oberschule in Dokki, einem westlich des Nils gelegenen Stadtteil, unter der Überschrift „Folklore“ das Maibaumfest der DEO an:
Der Maibaum ist eine vor allem im süddeutschen und alpenländischen Raum vorherrschende Tradition. Am 1. Tag im Mai wird ein von Schülern der DEO gestalteter Maibaum aufgestellt: Ein verzierter Baumstamm, an dem bemalte Bildzeichen der ansässigen Handwerksberufe und Gewerbe oder auch der wichtigsten Bauwerke des Ortes angebracht sind. Begleitet wird die Aktion von einem „Tanz in den Mai“, der für alle Gäste offen ist. Zu bayerischer Lifemusik werden typisch süddeutsche Speisen und Getränke angeboten.
Mit freundlicher Unterstützung von Bavarian Autogroup.
Es ist Mittwoch, 29.4. Ich gehe wie immer an diesem Tag mit meinem Kollegen Norbert zum Lehrervolleyball in die katholische Deutsche Schule der Borromäerinnen (DSB) nach Bab El Luk auf der östlichen Nilseite. „Gut, dass ihr hier seid, wir brauchen euch heute Abend“ empfängt man uns schon in der Umkleidekabine. „Wir werden heute Nacht den Maybaum der DEO klauen, da müsst ihr mit anfassen“. Man erläutert uns, dass, wenn hier schon deutsches Brauchtum gepflegt wird, die Bräuche auch bis in die letzte Konsequenz gelebt werden sollten. In Bayern sei es halt üblich, erzählt ein wissender Kollege aus Vorpommern, dass ein Dorf dem anderen versuchen würde, den Maibaum vor der Aufrichtung zu klauen. Nun sei Kairo zwar ein einziges 20 Millionendorf, aber an Stelle des Nachbardorfes könne für eine solche Aktion auch die Nachbarschule treten. Jedenfalls sei ein Plan entwickelt worden, zu deren Erreichung es noch einiger starker Männer bedürfe.
Nach dem Training besteigen wir auf dem Gelände der Schule den größten und ältesten Schulbus der DSB, ein Modell aus den 60-er Jahren. Man hatte ihn extra präpariert: die Heckscheibe sei ausgebaut worden, erläutert man uns, um den ca. 10 m langen Baumstamm problemlos in den Bus zu schieben. Neben sieben Volleyballern sind noch sechs ägyptische Mitarbeiter der DSB an Bord.
Wir quälen uns mit unserem Bus durch den allabendlichen Megastau über die „Brücke des 6. Oktobers“ auf das andere Nilufer, unsere euphorische Stimmung wird kaum gemindert durch die aufwirbelnden eigenen Abgase, die durch das nicht mehr vorhandene Heckfenster die Luft im Bus noch mehr verpesten, als es der Kairoer Verkehr um diese Zeit schon sowieso schon tut. Gegen 21 Uhr sind wir an der DEO und setzen sogleich mit dem Bus rückwärts gegen das stählerne Schiebetor, das den Zugang zur DEO gegen Eindringlinge absichert. Mathias, ein der Landessprache mächtiger Kollege und einer der führenden Köpfe unseres Expeditionskorps, geht auf die fünf Männer der Security, die neugierig aus ihrem Wachhaus herauskommen, zu und erläutert ihnen den Grund unseres Kommens, als sie ihn erstaunt anschauen:
„Hat man euch nicht gesagt, dass wir heute diesen Maibaum abholen sollen? Das ist doch alles zwischen den Schulleitungen abgesprochen, dass wir heute Abend kommen, um den Baum zu holen! Die Mädchen unserer Schule sollen ihn morgen früh in ihrem Kunstkurs verschönern, ihr wisst, Mädchen machen so etwas viel besser…… Es tut uns leid, dass wir ein bisschen spät sind, aber ihr könnt euch vorstellen, der Verkehr…….“
Die Sicherheitsmänner sind offensichtlich irritiert und ratlos. Zur Sicherheit der Sicherheitslage wollen sie noch einmal telefonisch Rücksprache mit dem Sicherheitschef der DEO nehmen. Als Mathias diesem noch einmal die Lage erklärt und verwundert fragt, wieso er nichts wisse, gesteht dieser ein, er hätte die Information an seine Untergebenen wohl nicht weitergeleitet. Welcher Mann in Ägypten auf einem sehr wichtigen Posten gibt schon zu, er wisse nichts und sei nicht informiert! Also wird telefonisch die Order gegeben, uns das Tor zu öffnen. Wir, die im Bus verbliebenen Träger, klatschen uns ab, besonders unsere ägyptischen Freunde sind besonders stolz über den anscheinend gelungenen Coup. Unser Fahrer setzt mit dem Bus rückwärts auf den Hof, wir steigen aus und gehen in die östliche Ecke des Schulhofes, wo der bereits in blau-weiß angemalte Baumstamm aufgebockt bereit liegt. Mit 14 Männern schultern wir das fast 600 kg schwere Beutestück und heben es vorsichtig durch das Loch im Heck des Busses in den Fahrgastraum. Als wir den Schulhof der DEO verlassen, bricht ein Jubel bei den Teilnehmern der Aktion aus, der Plan ist hundertprozentig aufgegangen. Dass die Kraftstoffpumpe des Busses auf der Rückfahrt an der schmalsten Stelle der Brücke des 6. Oktober noch verreckt und den Innenstadtbereich Kairos durch die fast 40-minütige Reparatur vom Megastau zur „no go area“ werden lässt, sei am Rande erwähnt.
Am nächsten Morgen erhält die DEO eine Mail mit einem Foto des Maibaums im DSB-Bus, man bietet der DEO Verhandlungen an, zu welchem Preis sie den Baum auslösen können. Man einigt sich auf drei Paletten Sakara-Bier sowie eine Wurst- oder Leberkäsvesper mit Kartoffelsalat für jeden der an der Aktion Beteiligten. Dies wird dann auch ausgezahlt, nachdem der Maibaum unter den Klängen einer extra aus Oberbayern eingeflogenen Blaskapelle mit Musikern in Lederhosen und Dirndl fachgerecht aufgerichtet wurde. Für Ägypter und in der Kairoer Diaspora lebende Deutsche wird noch schnell ein Schnellkurs im Schuhplattern sowie eine Einführung in das Polkatanzen gegeben, und Diebe und Bestohlene lassen den Abend mit bayerischer Gemütlichkeit ausklingen.
10 Gebote beim Diebstahl eines Maibaums
1. Ein Maibaum darf nicht von Bürgern der eigenen Gemeinde, sondern nur von Burschen anderer Gemeinden gestohlen werden. Wer die Absicht hat, einen Maibaum zu stehlen, soll dies so planen, dass er dabei nicht entdeckt wird. Dabei ist zu beachten, dass ein Maibaum zumeist Tag und Nacht von mehreren Wächtern streng bewacht wird.
2. Werden die Räuber beim Abtransport des Baumes innerhalb der Gemeindegrenzen überrascht, müssen sie die Beute sofort kampflos zurückgeben.
3. Ein erfolgreich gestohlener Baum darf weder zersägt noch anderweitig beschädigt werden.
4. Am l. Mai aufgestellte Bäume dürfen nicht mehr entwendet werden.
5. Gestohlen werden darf nur der Baum, nicht aber Kränze, Fähnchen, Figuren und anderes Beiwerk.
6. Ein entwendeter Baum muss von den Opfern noch vor Ende April ausgelöst werden.
- Die Räuber sollen keine unerschwinglich hohe Auslöse fordern. In der Regel erhält jeder der beteiligten Räuber ein bis drei Maß Bier und eine kräftige Brotzeit. Eine Gruppe von Räubern bekommt also zwischen 50 und 150 Maß Bier und eine „anständige“ Leberkäs-Brotzeit.
8. Wird der gestohlene Baum nicht ausgelöst, haben die Räuber das Recht, ihn als „Schandbaum“ am Rande ihrer Ortschaft aufzustellen und auf einem am Baum angebrachten Schild die Schande der Bestohlenen kund zu tun. Sie dürfen den Baum auch für einen karitativen Zweck versteigern.
9. Nach dem Auslösen des Baumes und der Versöhnungsfeier soll wieder Friede herrschen.
- Der Maibaumdiebstahl soll durch Einhaltung der Regeln so durchgeführt werden, dass keine der Parteien vor Gericht gehen muss.

Motorradausflüge in Kairo
Kamelmarkt
Februar 2009
Heute ist Freitag, moslemischer Sonntag und somit schul- und arbeitsfrei. Bereits um 7.20 Uhr klopft mein Freund und Nachbar Wolfgang an meine Tür, um mit mir auf Motorradtour zu gehen. Ich setze meinen Helm auf, nehme auf dem Rücksitz seiner chinesischen 175-er Maschine Platz und los geht die Fahrt über die menschenleeren Straßen 25 km in Richtung Alexandria-Desert-Road, wo wir um 8.00 Uhr auf dem Parkplatz vor dem noch autofreien Carrefour-Supermarché mit Erhard verabredet sind, einem Motorrad-Freund und Kollegen. Fast zeitgleich mit uns rollt er auf seiner indischen 175-er Maschine ein, und Erhard übernimmt die Führung zu unserem morgendlichen Ziel, dem Kamelmarkt von Birquaasch im Nordwesten Kairos. Dies solle der größte Kamelmarkt der Welt sein, steht im Reiseführer, wohin aus dem Sudan, Saudi-Arabien, Libyen und anderen Ländern Käufer und Verkäufer kommen sollen, um jeden Freitag bis zu 2000 Kamele zu erwerben bzw. an den Mann zu bringen.
Wir erreichen unser Ziel nach einer halbstündigen Fahrt entlang den Bewässerungskanälen des Flussdeltas, gelegen auf Wüstenboden auf einer Anhöhe. Schon vorher begegnen uns offene Pick-Ups und LKW, von deren die langen Hälse und Köpfe von auf der Ladefläche zusammengepferchten Kamelen lugen. Gegen 8.45 Uhr sind wir vor dem Eingang des Marktes, wir als Touristen müssen 20 Pfund Eintritt und 10 Pfund Fotografiererlaubnis (zusammen ca. 4,50 €) in den Koffer des am Tor wachenden Sheiks legen. Der Anblick erschlägt uns fast: In einzelnen, von jeweils einer Mauer umgebenen Bereichen, ca. 500 m² groß, befinden sich bis zu jeweils 150 Kamele, bei den meisten ist bei einem Vorderbein jeweils der Ober- mit dem Unterschenkel durch eine Fessel verbunden, so dass die Tiere sich nur auf drei Beinen entsprechend mühsam bewegen können. Die zahlreichen Jungen (schon Sechsjährige sind hier aktiv) und Männer jeden Alters in den landesüblichen Galabiyas und den um den zu einem Turban um den Kopf geschlagenen weißen Tüchern dreschen mit ihren Bambusstöcken auf die Tiere ein, Widerspenstigen wird das dicke Stockende von hinten in den Darm gebohrt oder die Nasenlöcher werden gepackt und bis zu zweimal um 360° gedreht. Zwischendurch findet der Handel statt. Tiere werden begutachtet, ihr Fell, ihr Höcker, der Fettreserven für die Zeit der langen, futter- und wasserfreien Wüstenwanderungen speichern soll (Kamele kommen bis zu 20 Tagen ohne Wasser und Futter aus), die weichen, beim Auftreten auseinandergehenden Hufe (damit sie nicht im weichen Wüstenboden versinken), dann wird der Handel mit einem Handschlag und der Übergabe eines Bündels Scheine perfekt gemacht.
Nun müssen die Dromedare (so heißen die einhöckrigen, in Nordafrika und im Nahen Osten beheimateten Tiere) verladen werden. Sie werden unter unglaubliche Gebrülle der mit Stöcken schlagenden Treiber auf eine Rampe getrieben, die Tiere brüllen ebenfalls aus Angst vor der unsicheren Zukunft und den Schlägen der Männer. Einige Tiere bluten an ihren Nüstern, die empfindliche Haut dort kann die Schläge oder das Verdrehen nicht immer aushalten. Sie versuchen sich zu weigern, auf die Ladefläche eines Pick-Ups zu gehen, aber ein eng um ihren Hals gebundenes Seil, das durch eine Eisenöse auf dem Dach des Wagens geführt wird und an dem zwei Männer ziehen und es immer wieder fixieren, sowie die Schläge, das Schieben und das Bohren in den Enddarm bringen wohl jedes Tier dazu, auch auf eine schon völlig von anderen Tieren besetzte Ladefläche zu gehen. Nun werden alle Beine gefesselt, so dass kein Tier aufstehen kann, und über die Rücken werden Seile bzw. Drähte gespannt. Dann geht es ab in die ungewisse Zukunft, unter den lachenden Gesichtern der über ihre Arbeit zufriedenen Männer. Wie diese Zukunft aussieht, wissen wir nicht. Ein englisch sprechender Mann, der gerade die sechs Kamele auf der Ladefläche des Pick-Ups bezahlt hat, sagt, dass die meisten wohl zum Schlachter gehen, ein Teil aber auch als Lasttiere oder für den Tourismus noch harte Arbeit leisten müssen. Nur wenige junge Tiere gingen in die Golfemirate, um dort als Rennkamele für Amüsement und zur Befriedigung der Lust am Wetten ihr Dasein zu krönen. Schlachttiere würden etwa 2500 – 3000 Pfund kosten, Lasttiere im guten Zustand etwas teurer, Rennkamele seien sehr teuer und ihr Preis Verhandlungssache.
Dieser Markt ist nichts für zarte Seelen, ich selbst, der nie einen Preis für die Ideen des Tierschutzes gewinnen könnte, der nicht missionieren will, wenn es um die Bräuche und Traditionen anderer Kulturen geht, wende an diesem Morgen oft genug meinen Kopf und denke, dass dieser Umgang mit Tieren bei uns in Europa ein Straftatbestand wäre, aber hier ist es „normal“, wie so vieles in diesem Land, das wir für unsere Kultur als unvorstellbar ansehen. Die überall auf dem Markt anwesenden Polizisten nutzen ihre Karabiner gelegentlich, um ein Tier, das sich beim Verladen so sehr verletzt hat, dass es keinen Wert mehr hat, zu erschießen. Den Abdecker erspart man sich, die Kadaver werden in die nahe Wüste gebracht, wo sie eine willkommene Nahrungsergänzug für die wilden Hunderudel, die schon kurz hinter dem Eingang zum Kamelmarkt lauern, sein werden.
Zwei Stunden halten wir es aus, dann verlassen wir den Markt. Wir nehmen das Gesehene hin, speichern es ab und werden in Zukunft bei jedem Kamelritt bei den Pyramiden oder anderswo daran denken. Erhardt und ich kaufen am Eingang noch jeder eine Kamelhaardecke, wir müssen es aus Achtung vor dem Verkäufer, der uns hinterherläuft, um den von uns angebotenen Niedrigpreis zu akzeptieren. Die schweren Decken legen wir gefaltet auf die Sitzfläche unserer Motorräder, sie erhöhen den Komfort beim Fahren und Sitzen.
Wir fahren jetzt in nordwestlicher Richtung, entlang einem Nilarm in das Delta hinein. Grüne Wiesen, Felder mit weißem und roten Kohl, riesige überdachte Flächen für den Tomatenanbau, Kartoffel- und Zwiebelfelder, Ochsengespanne, die über die abgeernteten Flächen einen Pflug ziehen, Kinder, Frauen, die alleine oder zu zweit auf Eseln reiten, eine Eisenbahn, die die Orte des Deltas miteinander verbindet lässt den Oberfranken Erhardt zu der Äußerung verleiten, dies sei ja wie am Main. Wir kaufen uns jeder eine gebackene Süßkartoffel, nehmen einen Imbiss am Fluss ein, ich schließe die Augen, damit ich den Müll nicht sehe, und als ich auf der gegenüberliegenden Seite den Zug höre, fühle ich mich an Kanufahrten erinnert und glaube Erhardts Worten „wie am Main…“.
Wir fahren weiter zu einem Staudamm bei der Stadt Qanatir Qahiriya, der vor dem Bau des Nasser-Staudamms bei Assuan zur Wasserregulierung gebaut wurde, essen dort in einem Ausflugslokal zu Mittag, hören über die Lautsprecher der Moscheen den harten, unversöhnlichen Ton der Freitagspredigt und fahren am frühen Nachmittag wieder in das ca. 100 km entfernte Kairo. Inzwischen sind die Straßen wieder voll, und als wir uns Downtown nähern, zeigt Wolfgang mit seinem Motorrad, dass sich in Kairo nur Hubschrauber schneller bewegen können!

Besuch im Mädchenheim Agouza
Dezember 2009
Gestern Morgen, am Vortag des Heiligenabends, war ich mit Hanna Hartmann verabredet, sie ist die Bibliothekarin der DEO (Deutsche Evangelische Oberschule) und gleichzeitig Vorsitzende des Sozialkomitees der Schule. Seit 1998 betreut dieses Komitee mit Schülern, Lehrern und Eltern das Projekt „Mädchenheim Agousa“. Nachdem wir in einer Bäckerei Kuchen gekauft hatten, fuhren wir zur Moassaeet El Agouza Eslakeya ganz in der Nähe von meiner Wohnung. Dort leben hinter hohen Mauern und Stacheldraht ca. 130 Mädchen zwischen 5 und 18 Jahren. Die meisten sind als Straßenkinder von der Polizei in Kairo aufgegriffen worden, von zu Hause weggelaufen, straffällig geworden oder ihre Eltern haben sich einfach aus dem Staub gemacht Wir gingen zunächst zur Direktorin, um den Kuchen abzugeben und uns von ihr sagen zu lassen, welche Arbeiten am Haus dringend notwendig seien. So waren in der vergangenen Woche bei einem Sturm die Glasscheiben aus vielen Fenstern gefallen, so dass der kalte Kairoer Winterwind durch die Räume und Flure fegen würde. Sie zeigte uns in den Waschräumen defekte Wasserhähne und viele Betten, die dringend von einem Tischler repariert werden müssten. Einigen Mädchen wurde von Lehrerinnen, deren Gehälter aus den Spenden des Sozialkomitees finanziert werden, unterrichtet, um auf die Halbjahresprüfungen vorbereitet zu werden. Die meisten der Kinder kommen als Analphabeten in das Heim. Ziel ist es, sie zu alphabetisieren und wenn möglich zum Adadeya, einer dem Hauptschulabschluss vergleichbaren Prüfung zu führen. Die Unterrichtsgruppen sind klein, ca. 10 Kinder. In staatlichen ägyptischen Schulen werden ca. 60 Kinder in einer Klasse beschult. Die Lehrerinnen erhalten übrigens ca. 300 LE im Monat, das entspricht weniger als 40 Euro. Jeweils 15 – 20 Mädchen sind in jeweils einem Schlafraum untergebracht, die Stuben sind sehr sauber, die Betten penibel hergerichtet. Die persönlichen Dinge der Mädchen sind in schmalen Spinden untergebracht. In jedem Raum befindet sich ein Fernsehapparat. Die Mädchen laufen im Haus ohne Kopftuch herum, nur zu besonderen Anlässen (z.B. für einen der seltenen, auch von der DEO finanzierten Ausflüge) putzen sie sich heraus, dazu gehört dann auch das modische Tragen eines Kopftuches.
Die Zukunftsaussichten der Mädchen sind schlecht. Praktika außerhalb des Heimes gibt es nicht, auch eine berufliche Ausbildung oder die Vorbereitung darauf ist nicht bekannt. Handarbeit als Vorbereitung auf das angestrebte, aber für nicht alle erfüllbare Leben als Ehefrau und Mutter genießt einen hohen Stellenwert. Am Küchendienst einschließlich Kochen müssen sich in regelmäßigen Abständen alle beteiligen. Das Essen besteht vor allem aus Brot, Gemüse, Reis oder Nudeln und wird gelegentlich mit Fleisch angereichert. Es soll aber schmackhaft und vor allem sehr gesund sein. Meiner Begleiterin Frau Hanna waren die Mädchen sehr zugewendet. Immer wieder tauchte die Frage auf, wann es wieder einen Ausflug gäbe. Sie würden so gerne ins Fayoum fahren, sagten einige Mädchen. Das Fayoum ist eine durch Nilwasser gespeiste Halboase in der ca. 100 km südlich von Kairo, dort befindet sich vor dem Anstieg in die Wüste ein See von ungefähr 50 km Länge. Frau Hanna wiegelte ab und meinte, erst müssten einige wichtige Dinge im Haus erledigt werden, zwinkerte mir dann aber zu, dass sie wohl bald wieder einen Tagesausflug organisieren würde. Auf solchen Ausflügen führen dann auch die dieses Projekt betreuende Schülerinnen der DEO mit – Jungen seien nicht erlaubt.
Einige der Mädchen werden das große Glück haben, auserwählt zu werden. Immer wieder kommen junge Männer ins Heim, die nach passenden Ehefrauen suchen. Obwohl die Mädchen keine „standesgemäßen“ Familien haben, bemühen sich junge Männer um sie, denn für diese Mädchen braucht man kein großes Brautgeld aufbringen. Die Männer müssen dann den Behörden gegenüber nachweisen, dass sie einen festen Wohnsitz und eine Familie haben, auch muss die Religionszugehörigkeit zu der in Frage kommenden Partnerin passen. Ein Christ darf keine Muslima und eine Moslem keine Christin heiraten. Kennenlernen dürfen die Heiratswilligen sich erst, wenn alle Formalitäten erledigt sind. Aber es ist nur ein kleiner Teil der Mädchen, der so erlöst wird. Haben Mädchen Familienangehörige, dürfen sie am Freitag, dem moslemischen Feiertag, von diesen besucht werden. Aber nicht alle haben das Glück, dass jemand zu ihnen kommt. In der ägyptischen Öffentlichkeit sind solche Einrichtungen wie das Mädchenheim nicht sehr populär. Man redet hier nicht gerne darüber, dass es Menschen, sogar Kinder gibt, die außerhalb gesellschaftlicher Normen leben.
Das Sozialkomitee der DEO ist mit ihrem Projekt der wichtigste Geldgeber für dieses Mädchenhaus und übt so eine gewisse Kontrolle aus. Durch die regelmäßigen Besuche, unter anderem auch von Ausländern, sind die aufsichtsführenden Behörden und Mitarbeiter im Heim sehr um eine ordentliche Führung des Hauses bemüht. Andere, ähnlichen Einrichtungen in Ägypten haben dieses Glück nicht.
Gefilmt werden darf im Haus allerdings nicht, gelegentlich auftauchende Fernsehteams auch aus Deutschland wurden abschlägig beschieden. Gegen Fotografieren im Haus hat jedoch keiner etwas einzuwenden. Leider bin ich mit leerer Batterie gekommen, so dass ich dieses Mal keine eigenen Fotos machen konnte.
Die DEO hat in diesem Jahr für ihr Projekt den 1. Preis der Organisation „Kinderwelten“ bekommen. Er wurde Ende Oktober den Schülern und Betreuern in Deutschland überreicht und war mit 10.000 € dotiert, die in dieses und andere Projekte fließen. Berichte über diese Projekte sind auf den unten angegebenen Webseiten der DEO und der Organisation KINDERWELTEN zu finden. Wer weitere persönliche Informationen haben möchte, kann sich natürlich jederzeit bei mir erkundigen.
Die Spende von ca 300 Euro, die die Skatrunde ehemaliger Bunatwietenlehrer unter Einbeziehung des aktuellen Schulleiters im November erspielt hat, sowie einer weiteren Person, die den Betrag verdoppelt hat, habe ich am 23. 12.2009 im Mädchenheim überreicht.
Wenn ihr an mehr Informationen über dieses Projekt wünscht, schaut auf den Webseiten der DEO oder von „Kinderwelten“ nach!
http://www.kinderwelten.com/index.php?article_id=308
http://www.deokairo.com/de/schulische-gremien/sozialkomitee.html

Basata
Klassenreise auf den Sinai, April 2010
In der letzten Aprilwoche durfte ich eine 5. Klasse der Europa-Schule Kairo auf einem viertägigen Klassenausflug nach Basata begleiten. Basata liegt im nördlichen Zipfel des Golf von Akaba, der als Ausläufer des Roten Meeres zusammen mit dem Golf von Suez die Sinai-Halbinsel einschließt. Der Golf von Akaba hat vier Anrainerstaaten, Ägypten mit einer Küstenlänge von 275 km und der Grenzstadt Taba im Norden, daran schließt sich Israel mit einer 12 km langen Küste und der Hafenstadt Eilat an, im Nordosten hat Jordanien mit der Hafenstadt Akaba einen 25 km langen Küstenstreifen, und die saudi-arabische Küste im Osten ist ca. 250 km lang. Will man Basata von Kairo aus dem Landweg erreichen, verlässt man bei der Unterquerung des Suez-Kanals Afrika und fährt dann quer durch den asiatischen Teil Ägyptens, die landschaftlich beeindruckende Sinai-Wüste, in Richtung Taba. Kurz vorher schraubt man sich in atemberaubenden Serpentinen zum Meer hinunter, die Landschaften mit ihren roten Felsen erinnern an in Arizona im Kodachrome-Nationalpark gedrehte Westernfilme. Das Camp Basata liegt ca. 45 km südlich von Taba in einer stillen Bucht mit Sandstrand, bei Ebbe tauchen Sandbänke aus dem Meer auf. Es wurde gegründet von Sherif, einem Absolventen einer deutschen Schule in Kairo, dem schon sehr früh ein naturnaher und umweltschonender Tourismus am Herzen lag. Es gibt in Basata keine externe Strom- und Wasserversorgung. Der Strom wird durch Dieselgeneratoren bedarfsweise erzeugt, das Brauch- und Trinkwasser wird in einer eigenen Meerwasserentsalzungsanlage gewonnen. Die direkt am Strand gelegenen Hütten sind aus natürlichen Stoffen gebaut, Bambushölzer, Strohmatten und z.T. erhöhte Liegeflächen aus mit Stroh versetztem Lehm. Gekocht und gegessen wird in der Lobby. Man kann sich Lebensmittel mitbringen, lieber wird es gesehen, wenn die Gäste die teilweise selbst erzeugten Gemüse und Grundnahrungsmittel im Camp beziehen. Töpfe und andere Kochutensilien stehen in ausreichender Zahl zur Verfügung, ebenso gut funktionierende Gasbrennstellen. Die Sanitäreinrichtungen sind sauber und gepflegt, sie stehen etwas abseits am Eingang des Camps. Nichts ist (außer den Klos) abschließbar – es gilt in Basata der Grundsatz des Vertrauens. Wer Dinge benötigt, nimmt sie sich und trägt alles in einem Heft ein, beim Auschecken wird abgerechnet. Der Müll wird getrennt und in einem von Sherif und einigen gleichgesinnten Freunden aus der Taufe gehobenen Recycling-Projekt weiter sortiert, verdichtet und zur Weiterverarbeitung nach Kairo gebracht. Organischer Abfall wird von den Beduinen, die eine kleine Siedlung auf dem Gelände bewohnen, für die Viehfütterung weiter verwertet. Sherif, der mit einer Deutschen verheiratet ist, wurde für diese Projekte mit mehreren ägyptischen und internationalen Umweltpreisen ausgezeichnet. Im Camp wird Arabisch, Englisch und Deutsch gesprochen. An das Camp angeschlossen ist eine kleine Schule, ca. 15 Schüler sind in 11 Klassenstufen. Es wird jahrgangsübergreifend in den drei Campsprachen unterricht, die Prüfungen werden extern an einer Sprachschule in Dahab oder Kairo abgelegt. Hier wird nach dem alten Dorfschulprinzip jahrgangsübergreifend gelernt, eine Unterrichtsform, die sich auch in der deutschen Schulpädagogik wieder großer Beliebtheit erfreut.
Für unsere 5. Klasse war dieser Aufenthalt die Erfüllung eines Traumes von Freiheit. Die Großstadtkinder, die in der Megametropole Kairo leben, haben kaum eine Möglichkeit, sich frei zu bewegen und Natur zu er-leben, frische, salzhaltige Luft zu atmen, sich auf der Sandbank mit Schlamm zu bewerfen, eine 60 m hohe Sanddüne hinauf- und hinunterzurennen, selbst zu kochen und ohne Fernseher und Handys auszukommen (die Blackberries und andere hochwertige Teile aus der Elektronikindustrie wurden vom Lehrer eingesammelt und nur nach dem Abendessen eine halbe Stunde zur Verfügung gestellt), Aufgaben innerhalb der Gemeinschaft zu übernehmen und mit dem Müllproblem konfrontiert zu werden.
Eine Klassenunternehmung bestand einen Nachmittag darin, an einem Strandabschnitt Müll zu sammeln und auf Grund der Aufschriften nach den Verursacherländern zu sortieren – Ägypten, Israel, Jordanien und Saudi-Arabien. Der meiste an den Stränden angeschwemmte Müll stammt von den Fähren, die von der ägyptischen Hafenstadt Nuweiba in diese drei Länder gehen.
Die Nächte am Strand bei Vollmond waren phantastisch, man braucht kein 5-Sterne-Hotel, wenn Millionen Sterne über einem scheinen.
Die Rückfahrt mit dem Bus dauerte wieder sieben Stunden. Die meisten schliefen, vier Tage und drei Nächte Strandleben kosten Kraft.
Aber es waren unvergleichliche Erlebnisse und Erfahrungen, die sowohl Schüler als auch Lehrer nicht missen mögen.
1. Mai 2010

Luxor
Mein erster Aufenthalt in Luxor war im Dezember 2008. Ich hatte ein touristisches Programm einschließlich Reiseführung und aller Besichtigungen von Kairo aus gebucht, im Anschluss daran eine Nilkreuzfahrt nach Aswan, von dort wieder zurück nach Kairo.
Es war interessant, es war lehrreich in Bezug auf ägyptische Geschichte, aber man wurde durchgeschleust und der Eindrücke waren zu viele, um sie wirklich nachhaltig zu verarbeiten.
In der Folge war ich regelmäßig, meist für ein Wochenende in Luxor, 5.30 Uhr Start in der Dunkelheit von Kairo, 6.30 Uhr Landung im Licht der gerade aufgegangenen Sonne in Luxor (was steckt alles in diesem Wort), klare, nicht zu warme Luft, die kurze Fahrt in die Stadt, das schon geschäftige Treiben auf dem träge dahin fließenden Nil. Kairo hinter sich lassen! Einatmen der 4000 –jährigen Geschichte dieser alten, aber doch modernen Stadt!
Luxor hatte mich gefangen und ich begann mich mehr und mehr dafür zu interessieren.
Der Name Luxor kommt aus dem Arabischen الأقصر al-Uqsur, und bedeutet „Stadt der Paläste“. Die Assoziationen, die ich hatte, waren anders: „Stadt des Lichts“, wegen der vielen Farben, die die Sonne in Wüste, Himmel, Wasser und Fruchtland hervorzaubert, oder das Wort „Luxus“, das ja vielleicht in „Stadt der Paläste“ eine Bedeutung hat.
Egal, für welche Deutung oder Assoziation man sich entscheidet, der Name ist Programm.
Luxor taucht in der Geschichte erstmalig vor ca. 4500 Jahren unter dem Namen Wahset als Hauptstadt Ägyptens auf. Allerdings wurde es mehr kultureller und religiöser Mittelpunkt, Sitz der Verwaltung blieb die meiste Zeit Memphis in der Nähe des heutigen Kairos.
Schon in 11. Dynastie vor 4000 Jahren entwickelte sich die Stadt zur riesigen Nekropole (Grabstätte), in der sich am Westufer des Nils in wunderschön ausgestatteten Grabkammern die Könige bestatten ließen. Um auf ihrer gefährlichen Reise in die Ewigkeit gut versorgt zu sein, legte man in die Gräber eine Vielzahl kostbarer Grabbeigaben. Die meisten dieser Gräber findet man im „Tal der Könige“, einem der bedeutendsten Ziele des Tourismus in Ägypten. Eine Vielzahl von Tempeln, besonders auf der Ostseite (Karnak-, Luxor-Tempel) stehen als Zeichen der Götter- und Königsverehrung, besonders der Pharao Ramses II. ließ sich riesige Statuen als Denkmäler errichten.
Die Griechen nannten die Stadt Theben, „Stadt der Hundert Tore“ und Homer erwähnte sie bereits in der Ilias. In der Zeit der ptolemäischen Könige nach der Eroberung Ägyptens durch Alexander dem Großen zwischen 300 v.Chr. und Christi Geburt verlor die Stadt an Bedeutung und geriet immer mehr in Vergessenheit.
Im 18. Jahrhundert, als die ersten europäischen Reisenden in Ägypten erschienen, war Luxor wenig mehr als ein großes oberägyptisches Dorf. Dieser Zustand änderte sich 1798, als Napoléon nach Ägypten kam. Seine Gelehrten verfassten die Schrift „Description de l’Egypte“ und lösten damit das ungebremste Interesse aus, unter dem die Region noch heute steht. 1922 entdeckte der britische Archäologe und Ägyptologe Howard Carter (1874 – 1939) im Tal der Könige das fast unversehrte Grab des Pharao Tutanchamun. Seine Totenmaske ist heute das Logo der Stadt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war Luxor in aller Munde und der Bildungstourismus nahm immer mehr zu.
Wegen der hervorragenden klimatischen Bedingungen wurde die Stadt für viele wohlhabende Menschen besonders aus England ein äußerst beliebtes Winterdomizil. In dieser Zeit entstand der „Old Winter Palace“, wohl eines der bekanntesten Hotels der Welt. Noch heute ist dieses im viktorianischen Stil erbaute Haus Anziehungspunkt für wohlhabende Reisende jenseits des preiswerten Pauschaltourismus.
Natürlich hatte ich diese Informationen aus Reiseführern und Wikipedia für mich gespeichert, aber die Erdung mit dieser Stadt geschah erst mit dem Erlaufen, Ersteigen und Erfahren.
Die ersten Aufenthalte wohnte ich auf der Eastbank, auf der sich das moderne Luxor befindet. Ich „residierte“ im Winter-Palace- Pavillon, dem preiswerteren Nebengebäude des Traditionshotels direkt gegenüber dem Fähranleger, von dem im 5-Minuten-Rhythmus die Fährboote zur Westbank hinüber fahren. Hier ist auch der Platz, von dem die Felukaboote zu einem Segeltörn in den Sonnenuntergang hinein mit den Touristen auf den Nil aufbrechen.
Dass Luxor eine Stadt des Massentourismus mit all seinen Schattenseiten ist, will ich nur erwähnen, aber dies ist nichts gegen die Schönheit dieses Ortes.
Bei einem Luxor-Aufenthalt zu Sylvester 2009 und die ersten Tage im neuen Jahr wohnte ich im Marsam Hotel von Sheik Ali Abdel Rasud auf der Westbank, direkt gegenüber dem Horn von Qurna, einem pyramidenförmigen, 560 m hohen Berggipfel, der wie ein Wächter über dem Tal der Könige und dem Hadschesput-Tempel steht.
Das Marsam-Hotel ist seit Generationen im Besitz der berühmten Grabräuberfamilie Abdel-Rasud, die den Achäologen in ihren Kenntnissen über die Gräber und vor allem den darin enthaltenen Schätzen weit voraus waren. So umranken viele Geschichten dieses einfache Haus, und vor allem den wundervollen Garten.
Man sitzt auf Bänken mit dicken Kissen, die Bäume spenden viel Schatten, freundliche Jungen bieten die einfachen, aber leckeren Speisen an, man findet sofort Gespräche mit Archäologen aus verschiedenen Ländern, Ägypter aus Kurna in ihren Wintergalabiyas und ihren um die Köpfe geschlungenen Tüchern, sie alle sitzen in diesem Garten mit Blick auf das Fruchtland und die berühmten Kolosse von Memnon. Dieser Garten hat die Atmosphäre, die nicht einmal ein Winter Palace bieten kann, hier kann man den ganzen Tag verweilen und zu den schönsten Touren aufbrechen!
Ich mietete mir bereits am ersten Tag ein Fahrrad, ein chinesisches Holland-Rad-Imitat, ohne Gangschaltung, ohne Kaution, ohne Vorzeigen des Passes. So konnte ich das tun, was mir in Kairo nur begrenzt möglich ist – diesen Ort erfahren! Ich tat es jeden Tag, zwanzig, dreißig Kilometer, durch das Fruchtland, über den Nil auf die Eastbank, zu den verschiedenen Gräbern, in ein koptisches Kloster inmitten der Wüste, mein Herz sprang in die Höhe dabei und ich spürte immer mehr, dass dies der Ort sei, den ich mir gewünscht habe und in dem ich noch Lebensjahre verbringen könnte!
Meine Morgenunternehmung vom Marsam – Hotel war fast immer die Bergtour zum Horn von Qurna, der mit 560 m höchsten Erhebung auf der Westbank. Ich fuhr meist mit dem Fahrrad die Asphaltstraße zum Dorf der Arbeiter, manchmal verfolgt von halbwilden Hunden, die Eindringlinge aus ihrem Revier vertreiben wollten (für diesen Zweck habe ich immer zwei Stück trockenes Brot in meiner Tasche, die ich den Hunden zuwerfe). Am Eingang des Dorfes der Arbeiter stellte ich mein Rad hinter dem Wachhäuschen, in dem meistens ein schlafender Soldat saß, ab, und dann begann ich mit dem Aufstieg die vielen Hundert Stufen hoch, die für die Soldaten in den Fels gegossen wurden, um ihnen den Aufstieg zu ihren Wachhäusern auf ein Drittel und zwei Drittel des der Berghöhe zu erleichtern. Es erleichterte auch mir, dem morgendlichen Bergtouristen, den Aufstieg. Vor mir der Gipfel, hinter mir beim gelegentlichen Drehen des Kopfes der Blick auf das Niltal und die Wüstenberge der Eastbank, hinter denen sich Treppenschritt für Treppenschritt der aufgehende rote Sonnenball in ein in das Tageslicht wandelt. Aber über mir tauchten die unzähligen Heißluftballons auf, die nördlich des Marsam-Hotels ihren Startplatz haben und meist nach Süden vom Wind getragen werden. Nach dreißig Minuten kam ich beim ersten Wachhaus der Soldaten an, hier musste man die Nase zuhalten, denn den Einbau von Chemieklos hatte man beim Bau vergessen. Vorbei an der Abzweigung, die zum Tempel der Pharaonin Hadschesput führt, stieg ich weitere Stufen hoch, inzwischen wärmte die Sonne den Rücken so sehr, dass ich die Vliesjacke ausziehen musste. 20 Minuten später erreichte ich das zweite Wachhaus der Soldaten, die ersten blinzelten noch müde in die Sonne und konnten kaum auf mein freundliches „Sabah el Keir“ antworten. Hier waren die Stufen zu Ende, und der Aufstieg über das Geröll begann. Zuerst leicht ansteigend, dann immer steiler , und an zwei Abschnitten musste man klettern, das heißt, in Stufen mit den Füßen hineinsteigen und sich mit den Händen hochziehen, aber niemals gefährlich. Beim Aufstieg zur Rechten lag nun das Tal der Könige, zu dem viele Pfade hinabführen, zur Linken das Tal der Königinnen, trotz der Gräber von atemberaubender Schönheit nicht so eine Attraktion wie wie die Gräber der Ramses und des Tutanchamun auf der rechten Seite. Auf den Parkplätzen beider Täler sah man schon eine Vielzahl von parkenden Bussen und einem Reiseleiter folgenden Touristengruppen. Die letzten Meter zum Gipfel sind leicht, und nachdem ich mir einen Platz auf dem höchsten Punkt gesucht hatte, konnte ich die volle Schönheit dieses Ausblickes genießen.Die Sonne erleuchtete jetzt das Niltal, aus dem noch ein wenig Dunst nach oben stieg, der das Grün des Fruchtlandes nur noch milder erscheinen ließ. Das Marsam Hotel unter mir lag noch fast im Schlaf, nur wenige gingen jetzt zum Frühstück in den Garten. Hier oben war ich alleine, hier gehörte Luxor mir, hier war es mir untertan! Ich trank mein Wasser, rief laut Botschaften und Wünsche in den Himmel, genoss den Morgen, der mir als Freund begegnete. Die Sonne stieg höher, und ich bereitete den Abstieg vor, packte alle warmen Jacken in den Rucksack, trank noch einen Schluck Wasser und begann leichtfüßig den Berg hinunterzuspringen, voller Vorfreude auf das leckere Frühstück im Marsam Hotel, das ich nach ungefähr einer 50 Minuten Abstieg bis zum Dorf der Arbeiter und 5 Minuten Runterrollen mit Fahrrad erreichte.
Ich ging auch immer wieder auf die Eastbank, am Liebsten in den Karnak-Tempel, in dem ich mich meist in den Schatten der vielen Säulen setzte, um mich in die alte Zeit hinein zu versetzen.
Ein anderer Ausflug, der mich sehr beeindruckt hat war eine Radtour in das Hotel „Moudira“ auf der Westbank am Rand der Wüste. Hier hat eine Libanesin, die „Moudira“ (das heißt auf Deutsch Direktorin) eine Hotelanlage von großer Individualität und Schönheit erbaut. 53 Zimmer und Suiten im maurischen Stil, jedes einzeln und einzig individuell gestaltet mit Kunst und ausgewählten Baustoffen, einem Garten von großem Anmut, und einem Restaurant mit hohen Standard. Hier, abseits jedes Massentourismus kann auch der sehr anspruchsvolle Luxor-Tourist Ferien wie ein König im Morgenland verbringen.
Ein anders Mal mehr aus diesem wundervollsten Ort Oberägyptens.

Revolution oder Mitten im Arabischen Frühling
Natürlich hatten wir in der ersten Januarhälfte von den Unruhen in Tunesien gehört, davon, dass man den diktatorisch regierenden Präsidenten Ben Ali aus dem Land gejagt hatte, natürlich war uns bewusst und bekannt, dass es in diesem Land viele Menschen gibt, die auch diesen Präsidenten, er seit 31 Jahren regierte, in die Hölle oder in ein Land, wo es ähnlich heiß ist, schicken wollten. Aber noch schien seine Position unangefochten, noch glaubte man, Ägypten sei nicht Tunesien, noch schien „The Wind of Change“ noch nicht so heiß wie der Chamsin, der Wüstenwind, der 50 Tage dauert, in jedem Jahr den Winter verdrängt und dem Land die Kraft nimmt.
Die ersten zaghaften Demonstrationen, von denen wir hier im „sicheren“ Luxor aus Kairo hörten, am 20.1., beunruhigten uns überhaupt nicht, auch unsere Freunde in Kairo waren nicht in Sorge. Selbst die Angehörigen der Deutschen Botschaft, mit denen einige von uns in einem ständigen Kontakt waren, gingen davon aus, dass die ägyptische Bevölkerung den Wandel nicht wolle, sicher, man werde unterdrückt, viele Menschen hungerten, die Geheimpolizei sei überall präsent, die Schere zwischen arm und reich ginge immer weiter auseinander, aber das Land könne zur Zeit keinen Wechsel gebrauchen.
Rosalie, meine junge Kollegin, begann jedoch etwas anderes zu reden. Ihr ägyptischer Freund, der in Kairo als Journalist arbeitet und der sein Ohr da hat, wo die meisten nicht hinhören wollten, sagte ihr schon Anfang letzter Woche, am Wochenende würde es los gehen. Viele Menschen träfen Verabredungen über Facebook, Twitter und Blackberry-Systeme, Papiere und Flugblätter seien durch das Internet ersetzt. Freitag, nach dem Gebet, also am 28.1. gegen 13.30 Uhr, werde es losgehen. Diese Einschätzung teilten auch politisch aktive Eltern und einige Manager der sensiblen Tourismusbranche in Luxor, andere sagten noch am Donnerstag Abend zu mir, sie sähen zurzeit keinen Anlass, ihre Tagesausflüge (meist mit dem Flugzeug) nach Kairo abzusagen, es würde hier schon so weiter gehen, jeder wisse, wie wichtig Tourismus für Ägypten sei.
Freitag, 28.Januar 2011
In Luxor ist Marathontag. Mehrere Kollegen aus Alexandria sind zu Besuch nach Luxor gekommen, sie wollen die ganze oder die halbe Strecke mitlaufen, um 7 Uhr ist Start am Hadschepsut-Tempel, dort hatten 1997 Islamisten über 70 Ausländer, vor allem Mitglieder einer Schweizer Reisegruppe, dahingemetzelt und damit den Tourismus für mindestens ein Jahr zum Erliegen gebracht. Aber Tourismus sei wie eine weiße Galabiya, hatte eine Bekannte von einem Reiseführer gesagt bekommen, sie werde schnell beschmutzt, aber wenn man sie gewaschen habe, sei sie wieder blütenrein.
Ich fahre mit Monika, einer Kollegin aus Kairo, mit dem Rad zum Startplatz, wir jubeln den Läufern, fast nur Ausländer, zu und treffen uns mit ihnen zum Frühstück im Marsam Hotel in einem friedvollen Garten. Ich hatte vor unserer Abfahrt am Morgen gegen halb sieben noch meine e-mails checken wollen, aber, wie so oft, keine Verbindung zum Server, ein Problem, dass sich normalerweise irgendwie wieder nach kurzer Zeit löst. Hier erfahre ich, dass alle in Ägypten das Problem haben, dass das Internet seit der Nacht abgestellt worden sei. Mein Telefon klingelt, eine gute Freundin aus Kairo, sie weiß, dass dies vorerst das letzte Gespräch sei, wir telefonieren über Vodafone, alle anderen Netzbetreiber hätten schon auf Anweisung der Regierung in Kairo die Mobilfunksysteme lahm gelegt. Wir versuchen dies zu überprüfen – in und um Luxor geht das Telefonieren, aber nach Kairo und Alexandria, selbst nach Hurghada gibt es nur die Ansage, der Gesprächsteilnehmer sei nicht zu erreichen.
Hubert, Schulleiter aus Alexandria, bekommt noch gegen 11 Uhr einen Anruf über Festnetz aus der Deutschen Botschaft in Kairo, der Sicherheitsbeauftragte versucht die Lage beschwichtigend darzustellen, nach Einschätzung der Botschaftsrunde würden es zwar Demonstrationen von Studenten und Intellektuellen geben, aber alles werde sich im Rahmen halten, die Sicherheitskräfte seien gut vorbereitet, die Bevölkerung wäre nicht zu einem Wechsel bereit. Meine Einschätzung und die einiger mit uns im Marsam sitzenden Kolleginnen und Kollegen ist anders, wenn es den Imanen in den Moscheen, von denen viele zu den radikalen Moslembrüdern gehören, gelänge, die Menschen (das bedeutet in Ägypten die Männer) nach dem um 13 Uhr schließenden Gebet auf die Straße zu bringen, wären Hunderttausende mobilisiert.
Ich bin um 14 Uhr mit meinen Kollegen, die alle ihren Halb- oder Ganzmarathon überstanden haben, im Gezira Garden, dem meinen Haus gegenüberliegenden Hotel, verabredet, um unsere neue Schule zu besuchen. Gamal, der Besitzer und seine deutsche Frau sitzen vor dem Fernseher in der Bar und schauen Al Djazira, dem einzigen Sender des Mittleren Ostens, der die Wahrheit zu verbreiten versucht. Wir sehen Bilder aus Kairo, den Tahrir-Platz, die Brücke des 6. Oktobers (Tag, an dem 1973 die ägyptische Armee den Sinai von Israel zurück erobert hat), die östliche Corniche du Nile, an der ein 5 * Hotel neben dem anderen steht. Menschen wollen auf die Brücken, ein massives Polizeiaufgebot hindert sie unter härtestem Schlagstockeinsatz, dem Abschuss von Gummigeschossen und Tränengas. Es scheinen immer mehr zu werden, Gehwegplatten werden herausgeholt, zerschlagen und die Steine auf die Polizisten geworfen, diese sind geschützt durch Helme und Plastikschilde, nicht aber die Demonstranten, auf die die Steine von den Polizisten zurückgeworfen werden, viele brechen blutüberströmt zusammen. Alle sind betroffen, aber, nein, in Luxor sei das nicht möglich, hier wüssten alle Menschen, wie sehr sie vom Tourismus abhängig seien. Das wolle keiner gefährden, sagt Gamal.
Wir fahren mit dem Boot den friedvoll dahin fließenden Nil aufwärts, sind nach einer halben Stunde an unserer Schule und ich mache meine Führung. Hubert, der ein Satellitendiensttelefon besitzt, dessen Netzzugang nicht von ägyptischen Behörden abgeschaltet werden kann, wird von der Verwaltungsleiterin seiner Ordensschule in Alexandria, Schwester Claudia, angerufen. Sie stände auf der Dachterrasse der Schule, drunten in der Salah el Din Straße tobe der Mob, es sei wie im Krieg, berichtet sie, die Hubert später als sonst immer völlig unaufgeregt schildert, mit Tränen in der Stimme.
Wir sind betroffen. Auf der Rückfahrt sehen wir über der Eastbank dicke Rauchschwaden, ich vermute zunächst, dass der Gouverneurspalast brennt, später erfahre ich, dass die Mubarak Bibliothek in Brand gesetzt wurde. Als wir wieder im Gezira Garden sind, sehen wir an den Bildern, dass sich auch in Kairo die Lage verschärft hat. Immer mehr Menschen sind auf der Straße, jetzt auch viele Frauen, die Nebelschwaden der Tränengasgranaten lassen kaum noch deutliche Bilder zu. Die Freunde aus Alex wollen zum Flughafen, da die Corniche auf der Eastbank gesperrt sei, nehmen sie einen Wagen, der Luxor weiträumig umfährt. Später erfahren wir, dass sie gut zum Airport gekommen sind, ihr Flug nach Kairo pünktlich abhob, sie dort im Flughafengebäude aber die Nacht verbringen mussten, da wegen der erlassenen Ausgangssperre dort keine Möglichkeit bestand, nach Alexandria zu fahren, dort kommen sie erst am nächsten Mittag an.
Ich sitze den ganzen Abend mit Monika in meiner Wohnung vor dem Fernseher, wir schauen CNN, Al Djazira bekomme ich nicht. Die Lage in Kairo spitzt sich zu. Man sieht den Feuerschein von immer mehr brennenden Gebäuden, die Zahl der Menschen auf den Straßen, die die Ausgangssperre ignorieren, nimmt zu, und auf einmal rollen die ersten Panzer ein, von den Menschen freudig begrüßt. Die Armee genießt Vertrauen, fast jeder hat in ihr gedient, sie werden als Brüder angesehen. Es wird von vielen Toten aus Alexandria berichtet, auch in Suez, Port Said, Ismaelia uns vielen anderen Städten habe es schwere Unruhen gegeben.
Gegen Mitternacht gehe ich ins Bett, schalte aber gleich am nächsten Morgen wieder CNN ein.
Samstag, 29. Januar 2011
Die Unruhen müssen schrecklich gewesen sein. In Alexandria standen Straßenzüge in Flammen, Geschäfte, auch die DSB-Schule, denen der Halbmarathonläufer Hubert vorsteht, wurden geplündert. Die Bilder zeigen, dass das Militär alle wichtigen Punkte der Stadt sichert, von der Bevölkerung mehr freudig begrüßt und nicht als Gegner gesehen. Aber auch aus anderen Städten kommen Schreckensmeldungen, Überfälle von Polizeistationen, Räumen der Waffenarsenale, Flüge internationaler Fluggesellschaften werden gecancelt, Hunderte stranden am Kairoer Flughafen, widersprüchliche Aussagen der Botschaft, besorgte Anrufe aus Deutschland, nicht funktionierende Bankautomaten, Bargeldknappheit (nicht bei mir, ich kriege meine Auslagen in bar erstattet), kein Internet, damit wenig Information, El Djazira auf Arabisch wird ab-, die Mobilnetze nach Kairo werden jedoch wieder frei geschaltet, das Versenden von sms bleibt allerdings unmöglich.
CNN ist meine einzige Informationsquelle. Können wir am Sonntag Schule halten? Ich halte den Ort für sicher, abends kommt die Nachricht von der Deutschen Botschaft, dass die deutschen Schulen bis auf weiteres geschlossen bleiben sollen. Also rufe ich alle Eltern und Kollegen an, sie haben dafür tiefstes Verständnis. Einige der Kollegen haben Angst.
Am Abend fahre ich noch durch Luxor Seitenstraßen sind abgesperrt und durch ein starkes Polizeiaufgebot geschützt, auf einigen Straßen liegen Steine, die wohl vorher von Demonstranten als Munition genutzt wurden. Meine Augen beginnen zu brennen, das eingestzte Tränengas liegt noch in der Luft. Am Platz vor dem Luxor-Tempel haben sich einige Hundert Menschen zusammen gerottet und ziehen durch die Straßen, zerstören Scheiben, rufen unterschiedliche Parolen, einige halten Koranverse hoch, andere Nasserbilder, die alten Feinde verbindet die Solidarität der Straße, nach dem Sieg werden sie sich wieder in die Haare bekommen. Am „Old Winterpalace“, dem Traditionhotel, ist Militär aufmarschiert, ein alter T 76 Panzer steht einige Hundert Meter entfernt am Eingang zur Corniche. Der Winterpalace ist ein Regierungsgebäude, an die „Sofitel“-Gruppe verpachtet, die Soldaten haben sich im Abstand von drei Metern mit aufgepflanzten Bajonetten rund um das Gebäude postiert.
Am Tag sind die Gefängnisse geöffnet worden, mehr als 6000 Kriminelle seien frei, das Gerücht der Straße sagt, dass es die Regierung getan hätte, gleichzeitig sei die Polizei in die Kasernen zurückbeordert worden, man wollte ein Sicherheitsvakuum schaffen. In den großen Städten werde nach Einbruch der Dunkelheit geplündert, da die Polizei nicht mehr zu sehen ist, haben sich die Bürger bewaffnet, um ihre Häuser zu schützen. Ich koche mit Monika, die nicht nach Kairo zurück kommt, einen „Curfew“-Eintopf, wir wiederholen dabei immer wieder das neu gelernte Word für Ausgangssperre. Tobie, unsere amerikanische Mitarbeiterin ruft noch an und teilt mir mit, dass sie ihre amerikanischen Freunde aus Istanbul vom Flughafen abgeholt habe, allerdings sei ihr Taxi mit Steinen beworfen worden, ein Stein hätte sie fast am Kopf getroffen.
In der Nacht schlafe ich fest und tief, ich höre weder die Gewehrschüsse noch die angeblichen Randalierer, die auch um unser Haus gezogen sein sollen.
Sonntag, 30. Januar 2011
Ich fahre nach dem Frühstück in die Schule, es ist um diese Morgenstunde wie immer ruhig, auf der Fähre allerdings reden die zur Arbeit auf die Westbank fahrenden Männer hitzig über die Ereignisse der letzten Tage. In der Schule sitzt unsere neue Security Mohamed, er machte seinen ersten Dienst, nachdem sein Vorgänger Abdul in die Nachtschicht strafversetzt wurde. Er erklärt mir, alles sei ruhig, er würde aufpassen.
Ich arbeite einige Stunden an Verwaltungsaufgaben, bekomme vom Schulträger auf Nachfragen den Hinweis, dass ich das Geld für die Gehälter der Mitarbeiter holen könne, zahle es an mehrere Kolleginnen, die ich ins Sonesta-Hotel bestellt habe, aus. Einige der Kolleginnen haben Panik, sie sprechen davon, sich ausfliegen zu lassen. Mittags haben Jugendliche in den Straßen Sperren errichtet, sie übernehmen die Funktion der verschwundenen Polizei, kontrollieren Autos, sind mit Eisenrohren oder Holzknüppeln bewaffnet, fragen auch mich auf meinem Fahrrad, wohin ich wolle, sie lachen, freuen sich, sind stolz, dass sie auf einmal das Gewaltmonopol der Polizei übernehmen können.
Zu mir nach Hause kommen mit Tobie Lisa und Dannie, ihre amerikanischen Freunde. Wir trinken Bier, unterhalten uns über Istanbul, sprechen ein wenig Türkisch, sehen gemeinsam CNN und machen noch Scherze über die Situation.
Wir gehen an den Nil in ein Grillrestaurant, genießen den friedvollen Blick über den Fluss zum Luxortempel, essen einen Mixed Grill und trinken Limonensaft. Später geh ich mit Monika zu Elli, einer seit vielen Jahren hier ansässigen Deutschen und schaue ZDF „Heute“ Nachrichten. Kairo ist die Topmeldung. Gerhard Ossenberg, ZDF-Korrespondent in Kairo, wagt sich für sein Statement auf die Straße und verkündet, einzig die die Amerikaner könnten durch Druck auf das Militär zu einer Lösung verhelfen. Auch ich bin der Meinung, dass in der derzeitigen Situation nur eine Übergangsregierung des Militärs zu Stabilität und Neubeginn führen könne. Ich trinke mit dem ebenfall anwesenden Andreas , der mit seiner Frau Ilka zu Besuch ist (sie hatte de Sommerkurs in für die Schule in Luxor geleitet) Uzo, wahrscheinlich um uns der Illusion hinzugeben, diese Vorfälle entspannter sehen zu können.
Zuhause noch eine Runde CNN, aber ich schaue nicht mehr genau hin, immer ähnliche Bilder, meist aus einem dem Nil zugewandten Zimmer des „Four Season“ Hotels gefilmt.
Für mich wieder eine Nacht ruhigen und entspannten Schlafes. Allerdings lasse ich den Ventilator an, um die Aktivität der Mücken zu unterbinden, die sich in meinem Zimmer eingenistet haben.
Montag, den 31. Januar 2011
Das mit der ruhigen Nacht war ein Trugschluss. Ich hatte nur wegen des laufenden Ventilators die Geräusche von draußen nicht wahrgenommen. Monika, die im Nebenzimmer wohnt, erzählt mir von Schüssen, mit Eisenstangen und Knüppeln bewaffneten Männern vor dem Haus, laut kläffenden Hunden und starken Schlägen gegen unsere eiserne Eingangstür. Ich hatte nichts gehört, stattdessen meinem Sohn und meiner Schwester über mein deutsches Handy eine SMS (dort funktioniert dieser Dienst noch) geschickt: „Wir hatten eine ruhige Nacht“. Es beruhigt die Heimat, war aber offensichtlich nicht so. Ich bekomme von Tobie die Nachricht, dass sie der Aufforderung ihrer Botschaft nachkommen wolle, auszureisen, sie müsse nach Kairo kommen, dort würden Charterflugzeuge bereit stehen, die amerikanische Staatsbürger zumindest bis Europa ausfliegen würden. Sie hatte die Schüsse gehört (wie sich später rausstellte, waren es nur die Warnschüsse von den Bürgerwehren, die sich in Ermangelung von Polizei formiert hatten, um die Häuser vor möglichen Plünderern zu schützen), sie hatte in der Nacht immer wieder mit ihrer Mutter in San Francisco telefoniert, die die CNN Bilder aus Kairo und Alexandria vor Augen hatten, die auf Sensationen und Einschaltquoten aus sind und deshalb nicht davor zurück schrecken, das Drama schlimmer darzustellen als es ist. Die Situation in Luxor ist anders, trotz der geschilderten Zustände.
Ich fahre mit Andreas in die Schule, überall ist es ruhig, die Polizei ist zum Teil auf ihre Posten zurück gekehrt, wir werden mit unserem Auto aber überall durchgewinkt.
Ich bin inzwischen dabei, eine Liste für die deutsche Botschaft mit Namen, Handynummern, Wohnort und e-mail zu schreiben, denn offensichtlich hat man in Kairo keine Ahnung, wie viele und welche Deutsche in Luxor dauerhaft leben, das gilt auch für andere Gebiete am Roten Meer. Am Abend werde ich diese Liste mit Ingrid von der „Kleinen Pyramide“ komplettieren. Andreas richtet in der Schule unseren virenverseuchten Computer neu ein, unser Schulträger Dr. Ashraf erscheint und spricht mit mir das weitere Vorgehen ab. Nach Möglichkeit wollen wir die Schule Sonntag wieder eröffnen, auch als Zeichen, dass wir zur Normalität übergehen wollen (und müssen). Er bietet den Kollegen, die sich in ihren Wohnungen fürchten, an, bis zur Beruhigung der Lage ins Sonesta Hotel zu ziehen. Ich informiere sie telefonisch. Auf dem Rückweg kaufen Andreas und ich noch Bier und Wein in Luxor, auch eine Form von Hamsterkauf. Die Lage ist ruhig, viel Betroffenheit ist in den Gesichtern der Menschen zu erkennen, sie wirken viel freundlicher und ehrlicher, vielleicht wollen sie die letzen Ausländer, die noch in der Stadt sind, nicht auch noch verprellen.
Monika und Tobies amerikanischen Freunde sind im Karnak-Tempel, anschließend fahren sie bis auf Monika ins Tal der Könige, berichten anschließend, dass sie dort, wo schon sonst morgens Tausende herumlaufen, fast allein in den Gräbern gewesen sind.
Ich telefoniere nach Hamburg, muss dann allerdings anschließend mein Telefon aufladen. Hier in Luxor gibt es diese Möglichkeit noch, in Kairo gibt es so gut wie keine neuen Telefonkarten, der Nachschub funktioniert nicht mehr. Ich bezahle in dem kleinen Internetcafé mit viel Kleingeld für die Hunderterkarte, merke dann aber, dass ich doch eine Hundertpfundnote habe und lege sie dem Verkäufer hin. Als ich mit meinem Rad wieder zurück nach Hause fahren will, läuft dieser hinter mir her. „Du hast es nicht gemerkt, dass du das Geld liegen gelassen hast“, sagt er mir lächelnd, „aber Allah sieht es“ (dabei schaute er zum Himmel), „ich will dir auch noch weiter in die Augen schauen können“, und er gibt mir das Geld. Auf einmal merke ich, dass ich wieder an die Menschen in diesem Land glauben kann, zumindest einige. Ein anhaltendes Lächeln legt sich auf mein Gesicht.
Trotz Ausgangssperre treffen wir uns am Abend im Fayrouz. Tobie wirkt etwas entspannter, hoffentlich ist ihre Entscheidung zur Ausreise noch zu revidieren.
Zu Hause noch 10 Minuten CNN, dann falle ich gegen 10 todmüde in mein Bett, aber diese Nacht nehme ich einzelne Schüsse (kein Feuergefecht) wahr, ebenso sehe ich vor dem Nachbarhaus Männer mit Knüppeln und Messern, sie suchen offensichtlich Plünderer. Und überall kläffen die Hunde….
Dienstag, 1. Februar 2011
Ich wache gegen sechs auf, Gezira liegt ruhig, nur die Hähne krähen wie jeden Morgen. Ein Blick vom den Balkon zeigt mir, dass der Ort noch schläft. Der Nil fließt ruhig auf die Brücken in Kairo zu, auf denen sich wieder Tausende in der vergangenen Nacht versammelt hatten. Ich will die Liste mit den Deutschen in Luxor, die ich am Tag zuvor erstellt habe, nach Kairo faxen, vom Gezira-Garden Hotel gelingt mir das. Inzwishen hat mir Tobie mitgeteilt, sie werde ausreisen. Wir treffen uns an der Fähre, sie ist zusammen mit ihren amerikanischen Freunden, die über Kairo nach Beirut wollen, Tobie will erstmal in deren Wohnung in Istanbul ausharren. Es gelingt allen dreien tatsächlich einen Flieger nach Kairo zu bekommen, man nimmt sie sogar ohne Bezahlung mit. Ich fahre nach dem Abschied traurig durch das ruhige Luxor zur Schule, atme wie jeden Morgen in diesen Wintertagen die frische Lluft des unverbrauchten Tages ein und kann ein wenig entspannen. In der Schule treffe ich unseren ägyptischen Mitarbeiter Mr. Feyiz, der dort weiter an seinem Auftrag arbeitet, unserer Schule zu einer Lizenz zu verhelfen. Das wird jetzt sicher immer schwieriger. Sicher hat der Schulträger, eine Schule zu eröffnen, schon unzählige Male bereut, aber bis jetzt steht er zu seiner Entscheidung.
Immer wieder ruft die Botschaft an, fragt mich zur Situation in Luxor, zur Lage am Flughafen, zu ausreisewilligen Deutschen. Sie wurden dort in Zamalek in den letzten Tagen massiv angegiftet von Deutschen, die endlich aus Kairo und Alex herauskamen, aber ihre Situation ohne Internet und Mobilfunknetze war schon extrem schwierig, jetzt arbeiten sie rund um die Uhr und tun alles, den Menschen zu helfen. Immer wieder versuche ich ins Internet zu gehen, denn es heißt, es solle wieder eingeschaltet werden. Der internationale Druck ist besonders bezüglich dieses Themas unglaublich hoch. Die Geldautomaten sind alle Internet -gekoppelt, keiner kann mehr Geld an den Automaten ziehen, die Banken bleiben geschlossen, die einzige Wechselstube wurde von Randalierern überfallen und bleibt jetzt ebenfalls verbarrikadiert. Inzwischen bin ich für viele zur Bank geworden, ich habe noch relativ große Mengen Bargeld in meinem Safe und „tausche“ zum Teil auch ohne Gegenwert, allein gegen das Versprechen, ich würde es irgendwann wiederbekommen.
An diesem Tag bleibe ich bis drei in der Schule, ich gehe noch zu Elli, die Andreas und Ilka zu Besuch hat und trinke mein Nachmittagsbier. Sie wollen am Donnerstag ausreisen, wissen aber noch nicht, ob sie einen Flug bekommen, im Moment ist noch unklar, ob Air Berlin oder andere deutsche Gesellschaften Luxor noch anfliegen werden. Ich lade die drei am Abend zum Essen auf meinen Balkon ein. Zu Hause bei mir hat Monika Spaghetti mit Tomatensauce gekocht, ich esse es und genieße die „Ruhe“ auf meiner Terrasse. Zur Entspannung beginne ich jetzt für das Abendessen zu kochen. Es gibt Roastbeef (uruguayische Qualität, nicht besonders zart, ich hatte es am Morgen aus dem Freezer genommen), eine Gemüsepfanne mit Blumenkohl, Paprika, Zwiebeln, Tomaten Salzkartoffeln sowie eine braune Soße, die mir sehr gut gelungen war. Alle essen mit Genuss, als wenn es morgen nichts mehr geben würde. Wir trinken Grand Marquis dazu, einen passablen ägyptischen Rotwein, sind gut gelaunt. Als Rosa, meine junge Kollegin, die mit Tobie bis zum Morgen zusammen wohnte, noch zu uns kommt, empfinde ich unser Verhalten auf einmal als dekadent.
Wir erhalten von Tobie telefonisch die Nachricht, sie müssten am Flughafen Kairo die Nacht verbringen, am nächsten Morgen könne sie nach Istanbul ausfliegen.
Als die Gäste gegangen sind, schaue ich mit Monika noch CNN. Die Pro-Mubarak Demonstranten haben sich formiert, sie sind mit Hunderten von Pferden, Kamelen und Fuhrwerken durch die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz geritten bzw. gefahren, haben Peitschen geschwungen und mit Knüppeln geschlagen. Mubarak hält noch eine Rede im Fernsehen, er sagt, er wolle im September nicht ein weiteres Mal für das Amt des Präsidenten kandidieren. Auch diese Nacht schlafe ich wieder gut und fest.
Mittwoch, 2. Februar 2011
Ich werde bereits um halb sechs von einer Mitarbeiterin der Botschaft herausgeklingelt, sie möchte Informationen über ausreisewillige Deutsche und Infos zum Flughafen. CNN berichtet über weitere Straßenschlachten in der Nacht, die Polizei in Kairo ist immer noch nicht präsent, nur das Militär stellt sich zwischen Mubarak-Gegnern und Befürwortern, ohne jedoch einzugreifen. Ich hatte geglaubt, das die Armee die Macht übernehmen würde (und halte es in der derzeitigen Situation für die einzig sinnvolle Lösung), aber es gibt bisher keine Anzeichen dafür. Monika und ich gehen zum Frühstück ins Gezira Garden, es sitzen noch einige Gäste dort, Franzosen und Italiener. Monika, die sowieso zum Flughafen will, um sich nach Kairo-Flügen zu erkundigen, bekommt von mir den Auftrag, sich über Kontaktpersonen, Telefonnummern und Abfertigungsmodalitäten schlau zu machen. Sie leistet an diesem Morgen gute Arbeit, ihr Charme, die blonden Haare, blaue Augen und ein Stück Unverfrorenheit, gepaart mit gesundem Selbstbewusstsein, lässt sie ohne Bakschisch zu den wichtigsten Personen vordringen. Schon auf dem Weg zur Schule gibt es die ersten telefonischen Updates von ihr.
In der Schule ist kein Strom, ich kann auch nicht richtig arbeiten. Gegen 11 Uhr bekomme ich von Kate, einer Hotelmanagerin im Sonesta und Mutter, den Anruf: „Internet geht wieder!“ Mein PC hat noch Batteriecharge, auf einmal bin ich wieder mit der Welt verbunden. „Nur“ 24 Mails, ich bin ein wenig enttäuscht über geringes Interesse meiner Mitmenschen, mache mich sofort an das Verschicken von Meldungen. Immer wieder Anrufe der Botschaft, Rosa ist auch in der Schule, gegen 3 Uhr gehen wir. Ich fahre zum Einkaufen, völlig normale Situation, kein Preisanstieg im Supermarkt, schwer bepackt will ich mit Rad und mit meinem taubstummen Bootskapitän über den Fluss setzen. Mitten auf dem Nil setzt der Motor aus, er kriegt ihn nicht wieder in Gang. Ein gerade ablegendes Nilschiff verfehlt uns mit dem Heckum ca. 2 cm. Er will Hilfe holen, hat auch ein Handy, aber wie macht das ein Taubstummer? Er wählt eine Nummer, gibt mir das Handy, aber der Teilnehmer am anderen Ende versteht mich nicht. Wir winken ein anderes Boot herbei, es geht längsseit und schleppt uns ans Westufer. Wir versuchen, mein Fahrrad und die Einkaufstüten sicher an Land zu bringen, dann fahre ich nach Hause. 5 Minuten später höre ich undefinierbare Laute von unten. Es ist mein Kapitän mit meinem Rucksack in der Hand, mit Computer, Geld, Papieren, schon wieder ein Grund, weiter an Ägypten zu glauben.
Ich koche mit Monika ein chinesisches Pfannengericht mit Glasnudeln, dann fahren wir ins Marsam-Hotel, einerseits, um eine kleine Radtour zu machen, andererseits weil es dort Internetzugang gibt. Monika und ich bearbeiten an meinen beiden Laptops e-mails und informieren uns im Internet über die Situation, die sich in Kairo offensichtlich zuspitzt. Ich bekomme einen Anruf von einem Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, der aus Berlin eingetroffen ist, dass er im Winterpalace am Abend Informationen für Deutsche weiter geben würde. Er bittet mich, andere Deutsche zu informieren, das tue ich. Ich mache mich um halb Acht über den Fluss zum Winterpalace auf, mit mir kommen Ilka und Andreas, die unbedingt ausreisen wollen. Viele verunsicherte, aufgeregte und aufgebrachte Touristen sind dort, ein paar Veranstalter, Stühle sind im Old Victorian Tea Room aufgestellt, vorne nehmen der GM vom Winterpalace, der Mitarbeiter des AA und ein Bundespolizist mit Kairoerfahrung Platz. Herr Scheer, der AA-Mitarbeiter, versteht es, sich der Klagen, Beschwerden und Befindlichkeiten der Verunsicherten anzunehmen, Lösungen anzubieten und Ängste zu nehmen. Innerhalb des nächsten Tages wird es ihm und seinen Mitarbeitern gelingen, mehrere Hundert Deutschen entweder über Hurghada oder Luxor hinauszubringen.
Wir fahren wieder zur Westbank, trinken bei Elli, die auch am Donnerstag ausreisen will, noch ein Bier, schauen zu Hause bei mir noch CNN, immer das gleiche Ritual, und dann falle ich todmüde ins Bett.
Donnerstag, 3. Februar 2011
Checke und beantworte meine e-mails, chatte mit einigen Personen in SKYPE, endlich wieder mit der Welt verbunden, frühstücke und mache mich auf den Weg in die Schule. Schreibe den Eltern einen Brief, dass wir am Sonntag wieder mit der Schule beginnen wollen, auch den Kollegen, um sie zu beruhigen, lasse aber auch die Option, per Rundruf bei veränderter Situation abzusagen.
Fahre zu Dr. Ashraf, dem Schulträger, spreche mit ihm die Lage durch, er will, dass wir die Schule nur öffnen bei 0% Risiko. Das gibt es nicht, wir wollen am Samstag wieder darüber reden, ob wir noch absagen werden.
Mehrfach rufen mich deutsche Staatsbürger an, ich leite sie weiter zu den AA-Mitarbeitern, die sich am Flughafen um die Rückführung von vielen Hundert Touristen verdient machen. Rosa und Monika sind auch in der Schule, sie sprechen über ihr Grundschulmaterial.
Gegen 2 Uhr fahren wir zurück, der Schweizer Rundfunk DRS 1 macht ein Telefoninterview mit mir zur Lage in Luxor, abends werden wir die Sendung über Internet hören, aber meine Beiträge wurden nicht verwendet. Ich fühle mich schlecht, die Thunfischpizza aus dem Fayrouz liegt mir im Magen, zuviel Adrenalin, der Abbau kostet dem Körper und dem Geist Kraft. Ich gehe ins Bett, Monika ist noch unterwegs, um 11 höre ich sie, sie saß mit dem Fahrradvermieter Mohamed, trank Tee und unterhielt sich mit ihm über brisante Themen wie Frauenbeschneidung, Habibis von 80-jährigen Europäerinnen und die Rolle der Frauen in Oberägypten, mit mir hat Mohamed immer nur über Fahrräder geredet.
Nachts bleibt es ruhig.
Freitag, 4. Februar 2011
Ein ruhiger Morgen, noch ruhiger, weil die Touristenboote und Busse an der Corniche der Westbank fehlen, ebenso wie die das Morgenbild sonst prägenden Heißluftballons. Monika und ich gehen ins Gezira Garden zum Frühstück, ich hole anschließend gegen 10 Uhr die auf vier Personen verstärkten Mitarbeiter des AA und der Bundespolizei ab, sie kommen mit einem Boot vom Winterpalace über den Nil. Zunächst gehen in das meinem Haus benachbarte Hotel Gezira Garden, dort sitzen ein individuell reisendes Ehepaar aus Hamburg in meinem Alter sowie zwei Herren, die über eine Reiseagentur gebucht haben. Dem Ehepaar verhilft das AA-Team zu einem Transfer hach Hurghada am selben Tag, von wo noch täglich Flugzeuge gehen. Dann gehen wir durch das Dorf ins Fayrouz, dort sitzen noch einige Deutsche aus Göttingen, die auch ausreisen wollen. Auch ihnen wird geholfen. Die nächste Station ist das Marsam, zu dem wir auf der Pritsche eines Sammeltaxis fahren. Dort befinden sich noch Archäologen, unter anderem der Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo, einem weltweit anerkannten Spezialisten, der mehrere Kriege zwischen Ägypten und Israel im Land erlebt hat und durch nichts zu erschüttern ist. Er erzählt mit Leidenschaft von seinem derzeitigen Projekt, der Ausgrabung eines 400 to schweren Kolosses, der mit Luftkissen aus 8m Tiefe des Nilschlamms an die Oberfläche befördert wurde und jetzt gedreht und aufgerichtet werden muss. Die Grabstätte hinter den Memnon-Kolossen ist nur wenige Meter vom Marsam entfernt. Die anwesenden Archäologen wollen bleiben, Ausreise kommt für sie nicht in Frage.
Wir haben Schwierigkeiten sofort ein Taxi oder Minibus zu bekommen, ein Bus mit den letzten französischen Touristen hält an, die Reiseführerin will uns bis an die Abzweigung zur Brücke mitnehmen, doch dann entdeckt uns ein Peugeot-Taxi mit einer dritten Sitzbank, das uns alle bis zur Westbank-Fährstation bringt. „Wie in Kairo“, stellt der Bundespolizist fest, der ein Jahr zuvor Dienst an der Deutschen Botschaft in Kairo gemacht hatte.
Die AA-Leute fahren rüber, wir gehen zunächst in die Wohnung, es ist inzwischen 12 Uhr, Zeit für das Freitagsgebet. Auf dem Tahrir-Platz in Kairo knien Zehntausende friedvoll, zwischen ihnen die Panzer der Armee.
Monika und ich nehmen die Computer, fahren ins Marsam, essen Mittag und nutzen dort wieder den freien Internetzugang, ich telefoniere mit Wolfgang, meinem alten Stockwerksnachbarn aus Kairo, über SKYPE und gebe ihm meine Hintergrundinformationen. Auf dem Rückweg lädt uns Mohamed, der Fahrradvermieter, zu einem Tee und erzählt uns spannende Geschichten von der Westbank…
Abends kommt Rosalie zu uns, es scheint ruhig in Kairo geblieben zu sein, die Menschen haben an diesem Tag friedlich demonstriert und die meisten haben am Abend den Midan Tahrir, den Platz der Freiheit, verlassen. Wir kochen gemeinsam eine Shrimps-Suppe, dann bringen Monika und ich Rosa durch das ruhige Gezira nach Hause, wir kaufen noch bei unserem „Franzosen“ (ein französisch sprechender Lebensmittelhändler) an der Corniche Jogurt und gehen wieder auf unser Dach.
Nachts ruft mich meine Tochter Daniela aus San Francisco an, sie hatte mit Tobies Mutter gesprochen, sie soll am Sonnabend bei sich zu Hause ankommen.
Sonnabend, 5. Februar 2011
Außer den Mücken in meinem Schlafzimmer war es eine ruhige Nacht.
Ich frühstücke mit meinem letzten Schwarzbrot, Rühre und Tomate auf der Terrasse. Gegen 10 ruft einer der AA-Herren an, er will mir noch Geld aus einem Wechselgeschäft am Vortag geben und fragt mich, ob er noch meine Schule besichtigen könne, er würde gerne mit dem Fahrrad mitkommen. Um 10 holen wir ihn vom Winterpalace ab, sein Fahrrad hatten wir bei Mohamed geliehen und es über den Nil geschifft. Unsere Schule gefällt ihm sehr, er müsse für seine junge Familie ja vorplanen, wenn er wieder langfristig auf Auslandsposten versetzt werde.
Ich fahre dann ins Sonesta, um mit dem Schulträger über die vorgesehene Öffnung zu sprechen, er will nicht, trotz der positiven Sicherheitslage in dieser Stadt. Er befürchtet politische Entscheidungen in Kairo, die alles wieder kippen lassen. Ich werde den ganzen Nachmittag alle Eltern und Kollegen wieder anrufen und ihnen mit Bedauern die Verschiebung mitteilen.
Wir fahren mit den zwei AA-Mitarbeitern und dem Bundespolizisten ins Fayrouz, bestellen im friedvollen Garten ein gutes Mittagessen. Es kommt zu interessanten Gesprächen mit Hintergrundinformationen über Berlin, positive und negative Eigenarten von Ministern, über einzelne Länder, in denen die Männer Dienst gemacht haben. Monika moderiert geschickt mit ihrer Schweizer Neutralität und ihrem weiblichen Charme, es ist ein netter Nachmittag an einem schönen Ort. Auf dem Rückweg ruft mich Claudia, die mit ihrem deutschem Mann für zwei Monate auf dem Dach eines benachbarten Hauses wohnt und seit Jahren nach Luxor kommt, an und lädt mich zu einem Bier ein. Auch sie wollen bleiben, machen sich aber Sorgen, ob ihr geplanter Rückflug stattfinden wird. Am Abend schaue ich CNN, es werden endlich Hintergrundinformationen geliefert über das Land Ägypten, die Geschichte und die Abhängigkeiten jn den verschiedenen Epochen. Irgendwann muss ich Monika den Computer entreißen, um auch einmal meine e-mails abzurufen. Ihre Facebook-Sucht beginnt mich kribbelig zu machen. Ich schlafe gut ein, beginne jedoch später wieder den Krieg gegen die Mücken…
Freitag, 11. Februar 2011
Ich glaubte am letzten Samstag, wie viele Ägypter, die Revolution würde sich verlieren so wie das Wasser des Nils verdunstet oder im Wüstensand versickert. Wir mussten zwar auf Empfehlung (oder Anweisung) die Schulschließung um eine weitere Woche verlängern, aber in Luxor ging das normale Leben weiter. Die Menschen schalteten wieder auf FOX TV oder Dubai 1 um, die amerikanische Filme mit arabischen Untertiteln ausstrahlen, CNN berichtete nur sporadisch aus Ägypten, und meine Internetradiostation NDR Info brachte das Thema z.T. überhaupt nicht mehr, Gerhard Ossenberg lag mit seinen Einschätzungen im ZDF auch nicht immer so richtig, und Monika beschäftigte sich mit dem Rückflug nach Kairo, den sie am Sonntag antrat. Ich ging morgens in die Schule, auch alle anwesenden Mitarbeiter waren da, wir räumten um und auf, befestigten alle Billy-Regale, deren geringe Standfestigkeit vor allem ein Problem für die kleinen Kinder war, wuschen Vorhänge, räumten alle Ordner und Schränke aus und anschließend auf und waren der festen Überzeugung, alles sei überstanden, am Sonntag würde es weitergehen. Die DEO in Kairo, nicht weit von der Innenstadt in Dokki gelegen, sollte am Mittwoch öffnen (tat sie tatsächlich am Donnerstag, schloss bereits aber nach zwei Stunden wieder), viele Lehrer hatten die Absicht, am Wochenende nach Ägypten zurück zu kommen. Ich tauschte mit Kollegen in Kairo und Alex Revolutionsberichte aus, merkte, dass besonders Alex die Hölle und für viele – vor allem Familienangehörige – traumatisch war. In Luxor war nichts, das Leben ging weiter, es wurde gearbeitet, die Menschen waren freundlich, man spürte ihre Not, ihr Entsetzen. Der Vater von Mohamed, einer der Jungens aus dem Marsam, war am Sonntag gestorben, er ist der älteste, hat fünf Geschwister, er muss jetzt für die Familie sorgen. Er weinte vor Verzweiflung, als er darüber redete, er wisse nicht, wie es weiter gehen solle. Rainer aus Hamburg bat mich, einige der Jungens aus dem Marsam, die ihm ans Herz gewachsen waren, zu unterstützen, das tat ich gerne, weil ich die Sorgen der Jungen und ihrer Familien vor Augen hatte.
Nach dem Dienst in der Schule verteilten wir den Kindern Aufgaben, nachmittags kamen immer einige auf mein Dach, um mit mir und Rosa Probleme bei den Hausaufgaben zu besprechen. Die Abende verbrachte ich meist im Fayrouz, traf dort noch den letzten verbliebenen AA-Mitarbeiter, der aber am nächsten Tag ein neues Betätigungsfeld in Hurghada übernehmen sollte, dort seien noch viele Deutsche vor Ort.
Die Woche plätscherte so dahin, Bilder vom Tahrir erweckten eher den Eindruck eines mehrtägigen Open Air Rock-Festivals, nichts Aufregendes passierte und ich glaubte ernsthaft, wir könnten am Sonntag zur Normalität mit normalen Schulbetrieb übergehen. Rosa wollte nach Minja zur Familie ihres Freundes fahren, ganz wohl war mir dabei nicht, sie versprach mir aber am Sonntag bestimmt zurück zu sein.
Mittwochabend gegen 10 jedoch ruft mich unser ägyptischer Repräsentant an. Er hätte die Meldung erhalten, dass alle Schulen in Ägypten frühestens am 20.2.2011 wieder öffnen dürften. Für mich ist es enttäuschend, die Kinder brauchen die Schule, die Eltern wünschen es, wie sollen wir Schulgeld verlangen, wenn wochenlang Schule ausfällt?
Ich spreche am nächsten Tag mit meinen Kollegen einen Plan durch, ein Vater bietet seinen Garten und sein Restaurant am Nil an, um Unterricht außerhalb der Schule zu gestalten. Ich schreibe wieder eine Mail an alle Eltern, hoffe sie am nächsten Tag nicht widerrufen zu müssen.
Am Nachmittag schalte ich nach Tagen wieder CNN ein. Claudia, eine Freundin aus Kairo, die seit 2 Wochen kaum aus ihrer Wohnung herausgekommen ist, weist mich telefonisch darauf hin, dass sich etwas tut. CNN berichtet, dass der CIA-Chef hätte verlauten lassen, dass Mubarak am Abend zurücktreten werde, eine Rede von Obama aus Michigan, in der er darauf hinweist, dass an diesem Abend Geschichte in Ägypten geschrieben werde. Die Fernsehbilder zeigen immer mehr Menschen, die zum Tahrir kommen, die Vorfreude lässt sie tanzen und singen, sie skandieren immer wieder, dass Mubarak aus dem Amt gehen solle, wird live übertragen. Analysten äußern die Vermutung, dass am Abend das Militär die Macht übernehmen werde, um das Sicherheitsvakuum auszufüllen. Auch ich erwarte Mubaraks angekündigte Rede, die auf dem Vorwege von vielen Kommentatoren als „Rücktrittsrede“ bezeichnet wird.
Um 22.30 Uhr erscheint Mubarak auf dem Bildschirm: Versteinertes Gesicht, blauer Anzug, gestriegeltes, schwarz gefärbtes Haar, er beginnt , liest ab, hebt kaum seinen Blick in die Kamera, geschweige denn seine Stimme, und sofort wird die Enttäuschung der ebenfalls eingeblendeten Menschen auf dem Tahrir-Platz (dort wird die Rede offensichtlich auf Großbildleinwände projiziert) auf ihren Gesichtern deutlich, vielen ist der Zorn, der sie nach der Vorfreude erfasst, deutlich. anzumerken. Mubarak tritt nicht zurück, er übergebe einige Amtsbereiche seinem Vizepräsidenten Süleyman, aber er stehe zu seinem Wort, er bleibe bis September im Amt. Empörung macht sich bei den Menschen auf dem Tahrir breit, aus Alex wird berichtet, viele Tausend hätten sich auf der Corniche gesammelt und würden in Richtung eine Armeehauptquartiers marschieren. Die Menschen in Kairo marschieren ebenfalls, sie würden in Richtung staatliches Fernsehen gehen, andere würden auf dem Weg zu Mubaraks Amtssitz in Heliopolis sein, wird in CNN berichtet. Inzwischen tritt ein zweiter Redner angeblich live auf: Vizepräsident Süleyman fordert die Menschen auf, nach Hause zu gehen, er würde den Dialog führen, den Wandel einleiten und Reformen durchsetzen. Inzwischen wird auch immer wieder auf das Vermögen Mubaraks und seiner Familie hingewiesen, es soll sich um 70 Mrd. handeln, eine unvorstellbare Summe, die einen Staatshaushalt sanieren könne.
Ich chatte noch mit anderen, die auch gebannt am Fernseher gesessen haben, sie alle können ihre Enttäuschung nicht verbergen.
Am Morgen des 11. Februar wache ich vom Baulärm um mein Haus herum auf. Ich ahne nicht, dass dies der Tag der Entscheidung sein wird. In Luxor geht der Betrieb, der allerdings um seine Haupteinnahmequelle, dem Tourismus, reduziert ist, weiter. Ich mache mich zu einer Radtour auf und frühstücke im Marsam-Hotel., erfahre von den dort verbliebenen Archäologen, dass es auf der Westbank nach Mubaraks Rede Demonstrationen gegeben hätte, während auf der Westbank alles ruhig gewesen sei.
Ich bleibe den ganzen Vormittag im Marsam, rede mit Natascha, der Managerin über die Situation. Sie hat nur noch acht Gäste, die Einnahmen reichen nicht, um die „Jungens“, das Personal zu bezahlen. Sie musste die meisten nach Hause schicken, natürlich kriegen sie auch keinen Lohn, manche, wie Mohamed, dessen Vater in der letzten Woche gestorben ist, muss jetzt für seine Mutter und fünf jüngere Geschwister sorgen, das von ca. 500 Pfund im Monat, ca.. 70 €.
Das Mittagsgebet ist zu Ende, ich bin gespannt, was uns der Tag bringen wird. Ich esse noch Mittag im Marsam und fahre dann mit meinem Rad wieder runter zum Nil. Auch nach dem Gebet ist es ruhig, ich kaufe noch ein und schalte zu Hause den Fernseher ein. CNN kündigt an, dass Vizepräsident Süleyman sowie der oberste Armeerat eine Erklärung abgeben wollen. Auf dem Tahrirplatz in Kairo versammeln sich immer mehr Menschen. Immer wieder wird eingeblendet, dass Mubarak sich in Sharm el Sheik , dem Sinaibadeort am Eingang zum Golf von Akaba aufhalten soll, also nicht mehr in Kairo ist. Die Menschen sind nicht nur auf dem Tahrir, sondern belagern auch das Gebäude des staatlichen Fernsehens ca. 2 km vom Tahrir entfernt, Auch der Präsidentenpalast in Heliopolis wird Tausenden von Menschen belagert, beide Gebäude sind vom Militär umstellt und gesichert.
Gegen 17.25 Uhr gibt Vizepräsident Süleyman folgende Erklärung im staatlichen Fernsehen ab:
: „Unter diesen schwierigen Umständen, die das Land derzeit durchmacht, hat Präsident Husni Mubarak entschieden, das Amt des Präsidenten niederzulegen. Er hat das Militär damit beauftragt, die Amtsgeschäfte zu führen.
Als sich die Nachricht verbreitet, geht ein unbeschreiblicher Jubel durch die Menge auf den Straßen Kairos, immer mehr Menschen machen sich zum Tahrir auf. Ich gehe zu einem deutschen Ehepaar aufs Nachbardach, als um 19.30 Uhr folgende Erklärung von einem Mitglied des Obersten Militärrats abgegeben wird:
Der Oberste Militärrat bestätigt die Übernahme der Macht in Ägypten. Das Oberkommando werde den Willen des Volkes erfüllen. Ein Sprecher dankte Mubarak. Den Menschen, die bei den Protesten getötet wurden, bezeugte er mit einen militärischen Gruß Respekt. Sie hätten ihr Leben für die Freiheit Ägyptens gegeben.
(Quelle: spiegel life ticker)
Und wenig später gibt CNN immer wieder folgende Meldung durch:
Die Schweiz hat Vermögenswerte eingefroren, die möglicherweise Husni Mubarak gehören. Das sagte ein Sprecher des Schweizer Außenministeriums. Um welche Summen es sich handelt, wollte der Sprecher nicht mitteilen.
Mubarak soll die unvorstellbare Summe von 70 Milliarden $ an Vermögenswerten angesammelt haben, dies Vermögen soll er dem ägyptischen Volk gestohlen haben, behaupten Kommentatoren.
CNN spricht an diesem Tag erstmals nicht mehr vom Aufstand (uprising), sondern von Revolution, denn die Veränderung wurde von unten, vom Volk her, vorgenommen, mit Gewalt, die mit Gegengewalt geantwortet wurde. Unbestätigte Berichte sprachen von 800 Toten innerhalb vn 18 Tagen.
Der Tahrirplatz ist eine Partymeile, bis in den Morgen wird getanzt, gesungen, sich gefreut, alle haben die Hoffnung auf ein besseres Ägypten, Inschallah!
CNN lässt noch irgendwann in der Nacht das Schriftband „Mission accomplished“über die Bildschirme laufen. Mir verursacht es eine Gänsehaut, dann der George W. Bush hatte es nach dem militärischen Sieg über den Irak auch verwendet, aber das Leiden und der Tod hat bis heute nicht aufgehört. Mögen die Ägypter eine ruhige Zukunft haben!
Samstag, 12. Februar 2011 (Epilog)
Das Volk hat den Sieg bei der Revolution davongetragen. Das Volk sind die Menschen in Kairo und Alexandria, Suez und Port Said. Den Menschen in Luxor war es eher gleichgültig. Sie wollen ihre Ruhe haben, wünschen sich, dass die Touristen bald zurück sind, damit sie und ihre Familien weiterleben können.
Es gab hier keine Freudendemonstrationen, man blieb offensichtlich zu Hause. Heute Morgen, am Tag danach, laufe ich den Nil einige km aufwärts. Das Wasser ist in den letzten zwei Tagen zurückgekommen, man lässt in Aswan jetzt wieder mehr Wasser durch den Staudamm-vielleicht kann es auch jetzt dem Land zum Neuanfang verhelfen, so wie es der Nil schon 6000 Jahren tut. Beim Einkaufen in der Stadt waren wieder viele Menschen unterwegs, die Preise sind wieder normal,, die Erzeugnisse frisch vom Feld, die Welse beim Fischhändler leben noch und zucken in der Auslage. „Drei bis vier Wochen“, sagt Gamal, Besitzer des Gezira Garden Hotels, „dann ist alles wieder beim Alten“. Inschaallah!