Damals in den frühen fünfziger Jahren, als es noch keine Kitas und Vorschulen gab, weil zu Hause ja immer eine Mutter und Hausfrau zur Verfügung stand, verbrachte ich viel Zeit meines Tages an unserem Küchentisch. Auf der Küchenbank knieend schaute ich meiner Mutti zu, wie sie die täglichen Speisen zubereitete, Kuchen und manchmal Brot buk, ab Juli die Ernte des Gartens in Weckgläsern einkochte, Gurken und Bohnen einlegte, Weißkohl mit einem Kohlhobel raspelte und ihn dann mit Salz und Lorbeerblättern in eine Tonkruke schichtete, in der er zu gären begann und dann nach zwei Wochen das herrlichste Sauerkraut entstand, wie sie die von unserem Opa geschlachteten Hühner rupfte, die noch nicht entfernten Kiele der Federn über dem Gasherd abbrannte, sie ausnahm und mir aus dem meist noch im Inneren befindlichen Eidotter ein Spiegelei briet. Ich war neugierig, wollte immer wissen, wie alles schmecken würde, ich durfte naschen und abschmecken und ich freute mich auf das Essen.
„Du solltest später Probierkoch bei Maggi werden“, sagte sie oft zu mir, und es bezog sich wohl vor allem darauf, dass ich besonders die damals in jeder deutschen Küche stehende braune Flasche mit dem schlanken Hals und dem gelbroten Etikett besonders liebte und mir oft einige Tropfen dieser köstlichen Flüssigkeit auf meinen Handrücken spritzte, um diesen dann verstohlen abzulecken.
Auch als ich schon in der Schule war, blieb mein Interesse am Zubereiten von Speisen betehen, oft durfte ich auch unter Muttis Anleitung bei der Zubereitung helfen, und sie verriet mir etliche Tricks, die ich auch noch heute beherzige. Und ich mochte gerne meiner Mutter beim Experimentieren zuschauen, wenn sie etwas Neues ausprobierte, und Kochshows gab es noch nicht, selbst der erste Fernsehkoch Clemens Wilmenrod war noch nicht in Erscheinung getreten, er wäre auch keine Konkurrenz für meine Mutter gewesen.
Oft waren wir bei meinem Vater, der als Kapitän auf den Weltmeeren rumschipperte, an Bord, wir durften dann die Lösch- und Ladehäfen an der europäischen Küste auf seinem Schiff sein. Das Schiff war für uns ein riesiger Abenteuerspielplatz, wir lauschten den Geschichten der Matrosen, standen mit auf der Brücke und wurden im Salon wie in einem Restaurant bedient. Mein Lieblingsplatz war jedoch die Kombüse. Ich stand immer an der Tür, bekam leckere Probierbrocken vom Smutje, und ich bewunderte ihn, wie er mit Hilfe seines Kochmaats für fast 50 hungrige Seeleute und Passagiere das Essen zubereitete.
Als ich ungefähr 15 Jahre alt war, durften wir uns selbst versorgen, wenn unsere Mutter bei unserem Vater war. Ich versuchte mich an vielen Gerichten, lud manchmal Freunde zum Essen ein, erhielt viel Lob, besonders für meine extra scharfe Gulaschsuppe (mein Vater hatte aus anderen Ländern bei uns damals noch unbekannte exotische Gewürze und Früchte, z.B. Jalapeños, mitgebracht) sowie meine Schaschliks mit pikanter Soße.
Als 21-jähriger fuhr ich in den Ferien mal wieder zur See, als Decksmann auf dem Küstenmotorschiff „M.S. Jürgen“. Unser Koch, der gleichzeitig auch als Decksmann mit Hand anlegen musste, wurde beim Holzladen verletzt und musste in Schweden im Krankenhaus bleiben. „Wer kocht jetzt?“ fragte der junge Kapitän, und irgendwie spürte ich, wie sich die Augen aller sieben Besatzungsmitglieder auf mich richteten. „Ich helfe dir auch“, sagte der nette Kapitän, ohne von mir eine Antwort abzuwarten.
Ich inspizierte die Vorräte, für den nächsten Tag bestellten wir den Schiffshändler, um einzukaufen. Alles lief rund, die Crew lobte mein Essen, und ich war stolz. Hätte nicht wieder meine Schule angefangen, wäre ich sicher noch gerne als Smutje an Bord geblieben.
Als ich Inge heiratete und wir unsere erste Wohnung bezogen, übernahm ich die Küche, versuchte mich an diversen Gerichten, bewirtete gerne Gäste, auch meine Eltern, wobei sich meine Mutter häufiger in konstruktiver Kritik äußerte. Zugegeben, als unsere Kinder auf der Welt waren, übernahm meine Frau die zuverlässige Versorgung unserer Kinder, trotz Studium und später beruflicher Tätigkeit.
Ich war inzwischen Lehrer, und ein wesentlicher Bestandteil meines Lehrerseins waren die legendären Kanuwanderfahrten, mit Thomas Sello, Helmut Both, Winfried Kragge und Walter Röske. Wir schliefen auf den bis zu zwei Wochen dauernden Touren in Zelten an den Ufern fast aller Flüsse in Deutschland und im benachbarten Ausland. Und abends musste gekocht werden, am offenen Feuer, bei jedem Wetter, in riesigen Töpfen, die ich aus dem Keller meiner Großmutter geholt hatte, innen immer blank gescheuert, außen schwarz vom Ruß des Lagerfeuers. Der Einkauf der Lebensmittel oblag mir und Walter, ein Spitzenkoch der ganz feinen Art, zu dem ich diesbezüglich in einem gesunden Konkurrenzverhalten stand. Wir teilten uns natürlich auch das Kochen, es war nicht immer diskussionsfrei. Aber das Essen musste pünktlich fertig sein, für bis zu 50 junge Kanuten, die durch Anstrengungen beim Paddeln durch sommerliche Hundstage, Regen und Gegenwind, einmal sogar bei morgendlichem Schnee vor den Zelten, einen riesigen Hunger hatten. Doch es war immer ein Fest, sowohl die Zubereitung, unter Assistenz ausgewählter SchülerInnen, aber auch das gemeinsame Essen vor den Zelten, am Ufer der Flüsse…oft bis in die Nacht hinein. Es war die ganz harte Schule für einen Hobbykoch, den die Leidenschaft immer mehr packte.
Meine zweite Küchen-Karriere in der Schule war Hüttenkoch. Seit 1979 fuhren wir mit unseren Klassen fast jedes Jahr auf eine Selbstversorgerhütte ins Salzburger Land, zum Schilaufen. Bis 1994 sorgte auf der Hütte für uns Frau Strasser, geb. 1911, für unsere Verpflegung, unser Vermieter hatte sie an uns vermittelt, denn sie kochte auch immer für Schulklassen aus ihrem Heimatort in Oberösterreich. Sie hatte in den 30-er Jahren an exklusiven Orten ihre Kunst zelebriert, bis Kriegsbeginn 1939 an der deutschen Botschaft in Brüssel. Später, als sie verheiratet war und Kinder hatte, wurde sie als „Bezirksköchin“ für große Veranstaltungen in ganz Oberösterreich (sie kam aus Braunau am Inn) gebucht. Sie versorgte uns bei unseren Hüttenaufenthalten, kochte für bis zu 60 SchülerInnen und LehrerInnen an einem mit Holz befeuerten Ofen auf der Hütte, und ich schaute ihr immer über die Schulter, wie sie mit Leichtigkeit und in Rekordzeit selbst im hohen Alter schmackhafte, alle satt machende Speisen pünktlich auf die Hüttentische brachte. Und sie war sparsam. Sie verbrauchte alle eingekauften Lebensmittel, am Abreisetag waren alle Vorräte aufgebraucht. Und sie war resolut. Sie verbot jungen KollegenInnen das Rauchen im Raum neben der Küche (dieses lästige Privileg bestand in den 80-er und frühen 90-er Jahren noch), aber sie trank abends, nachdem die Küche wieder blitzte, mit uns einen Schnaps und erzählte uns manchmal zweideutige Witze.
Nachdem Frau Strasser einen Schlaganfall erlitten hatte, versuchten wir uns mit Ersatz aus Österreich, aber niemand konnte mit ihrem Können gleichziehen. Aber immer, wenn wir in Mühlbach zum Schilaufen waren, ließ sie sich von einem ihrer Enkel zum Mitterberg (unserem Quartier) hochfahren, sie brachte uns allen Kuchen mit und mir ihre legendären selbstgemachten Leberknödel, die ich so sehr liebte. Frau Strasser verstarb im Jahr 2000.
Einer der Nachfolger konnte jedoch Frau Strasser das Wasser reichen: Lutz Havenstein, ein Profikoch aus einem angesehenen Hotel im Hamburger Süden. Er nahm für unsere Aufenthalte extra Urlaub von seiner Chefkochstelle im Hotel, er wollte auch nie Lohn für seine Tätigkeit, „Hand gegen Koje“, sagte er, der unter diesen Bedingungen auch auf Oldtimer-Seglern mehrere Reisen gemacht hatte. Bei Lutz konnte ich mir viele Profitricks abgucken, die ich bis heute noch gerne anwende.
Dann kam die Zeit, wo ich das Küchenzepter bei Schiaufenthalten übernommen hatte: Ferienaufenthalte auf der Windraucheggalm außerhalb der Schulzeit, zuerst mit meinem Freund Helmut Both als Co-Koch, dann mit meinem jungen Kollegen Marco und unserem langjährigen Begleiter Gerd, der als Hüttenbäcker für den täglich frischen Kuchen zuständig war.
Und nach meiner Pensionierung durfte ich seit 2012 das Bekochen der noch immer an gleicher Stelle stattfindenden Schiklassenreisen meiner alten Schule übernehmen. Aus Leidenschaft, so empfinde ich es. In den Spuren von Frau Strasser und Lutz Havenstein, meinen beiden Vorbildern.
Übrigens nahm meine Mutter bis zu ihrem Tod 2002 immer regen Anteil an meinen Kochgeschichten. Obwohl sie Frau Strasser nie kennengelernt hatte, glaube ich, dass die beiden in einer Seelenverwandtschaft lebten. Und manchmal denke ich, dass meine Mutti auch gerne als Hüttenköchin bei uns mitgewirkt hätte.
In den Sommerferien in den 90-er Jahren machten wir etliche Segeltouren in der Ostsee und im Mittelmeer. Auch hier fiel mir immer wieder die Rolle des Yachtkochs zu, meine Spezialität wurde die Zubereitung selbst gefangenen Fisches.
In der Schule baute ich das Kochen zunehmend in meine Unterrichtsplanung ein. Nicht nach dem Lehrplan des Faches Hauswirtschaft, sondern projektorientiert. Wir organisierten einen Pausensnackverkauf (die Erlöse waren für Klassenreisen bestimmt), richteten das Catering für Schulfeste aus und bereiteten mehrere Jahre für die Lehrerweihnachtsfeier das festliche Menü zu, einschließlich eines dezenten Service während des Essens. Außerdem gründeten wir im Kollegium einen Kochclub, mit dem wir mehrfach im Jahr gemeinsam in der Schulküche Essen unter besonderer Themenstellung zubereiteten und gemeinsam verzehrten.
Heute liebe ich es, für die Familie zu kochen, meist an Festtagen und zu besonderen Ereignissen. Und bei meiner Altersbeschäftigung, dem Sprachunterricht für junge Menschen aus und in verschiedenen Ländern, ist das Kochen ein fester Bestandteil meines Unterrichtskonzeptes, sowohl für das Lenen der Sprache als auch für den Erwerb interkultureller Kompetenz.
An dieser Stelle werden demnächst neben Kochgeschichten neue und alte Rezepte erscheinen.